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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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hielten, hatten sie ihr geantwortet: »Kinder« und »Lust«. Dann hatten sie »Essen« hinzugefügt und »Tanzen« und »Feste« ; schließlich hatten sie noch eine ganze Reihe von Segnungen aufgezählt, den »Duft von Blumen«, den »Gesang der Vögel« und »das Vergnügen eines interessanten Gesprächs« eingeschlossen. Aber von allen diesen göttlichen Geschenken, so sagten sie, wären Liebe und Lust die wichtigsten.
    Außerhalb der Stadt zirpten die Zikaden noch immer ihre sanften, monotonen Lieder. Als der Mond am Himmel höher kletterte, fiel blaßsilbernes Licht durch die Zweige des großen Waldes aus Eichen und Heidekraut, der Shara im Norden und Westen um-schloß. Der Wald war bei Vollmond gewöhnlich ein geräuschvoller Ort; aber heute abend herrschte in einem kleinen Teil des Waldes eine unnatürliche Stille: Gleich auf der anderen Seite des Flusses, ein kurzes Stück stromaufwärts von der Furt, schrien keine Eulen, und keine Mäuse raschelten durch das Unterholz.
    Ein Pferd stampfte mit den Hufen und schnaubte. Etwas glitzerte im Mondlicht. Blasse Gesichter, mit Schlamm beschmiert, schienen wie körperlose Geister in der Dunkelheit zu schweben. Etwas hatte die Lichter von Shara voller Verachtung im Visier; etwas verbarg sich in dem Wald, etwas, das glaubte, Liebe sei nur für Narren.

7. KAPITEL
    Am nächsten Morgen. Die Mutterhäuser von Shara verfärbten sich erst grau, dann weiß, dann hellrosa, als die Sonne über dem Süßwassersee aufging. Ein Vogel zwitscherte auf Marrahs Fensterbrett. Es war ein Spatz mit winzigen schwarzen Knopfaugen; er stand da auf staksigen, dünnen Beinchen, den Kopf schiefgelegt, und starrte sie an, bevor er die Körner aufzupicken begann, die Marrah am Abend zuvor für ihn hingestreut hatte.
    Guten Morgen,
dachte sie.
    Guten Morgen,
schien der Vogel zu erwidern.
    Hast du eine Nachricht für mich?
    Nein, aber der Tag wird schön werden.
    Das ist gut, weil Hiknak die Kinder heute zum Beerenpflücken mitnehmen will.
    Die Beeren sind reif und schwarz und dick und so süß wie die Zunge eines Liebhabers.
    Was weißt denn du schon von der Zunge eines Liebhabers? Vögel wissen alles.
    Marrah lachte über sich selbst, weil sie eine Unterhaltung mit einem Vogel führte, aber da sie einen Vogelnamen trug – Marrah bedeutete »Seemöwe« –, malte sie sich ständig aus, wie sie mit ihr sprachen, obwohl sie wußte, daß die Worte, die die Vögel an sie richteten, leider nur in ihrem Kopf existierten. Sie gähnte, streckte sich und machte Anstalten, aus dem Bett zu kriechen.
    Der Spatz hörte auf zu picken und blickte sie aufmerksam an; wahrscheinlich riet er ihr, keinen Lärm zu machen, um Stavan nicht zu wecken, der auf dem Rücken lag und leise schnarchte, einen Arm über sein Gesicht gelegt.
    Habe ich einen gutaussehenden Mann, Vogel?
    Den hast du wirklich.
    Und hübsche Kinder?
    Zwei der hübschesten Kinder von ganz Shara.
    Bin ich eine glückliche Frau?
    O ja, das bist du.
    Als der Spatz davonflog, stand Marrah auf, schlüpfte in ihr Kleid und ging hinunter ins Kinderzimmer, um zu sehen, ob Luma und Keru fertig waren für die Beerenpflückexpedition.
     
    Ein Kreis von Eichhörnchen und Kindern tanzte auf den getünchten Wänden der Stube für den Nachwuchs. Zwei Störche und ein paar fette Kinder ließen bunte Drachen um ein großes Fenster herumfliegen, das eine warme Brise vom See und Sonnenlicht so gelb wie Butter hereinließ.
    »Doch, du hast meins«, schrie der sechsjährige Shutu. »Hab ich nicht!« protestierte Minha.
    »Ich liebe Honig«, sang Keshna, während sie einen Finger in den Honigtopf tauchte und einen bernsteingelben Tropfen in ihren Mund träufelte. Sie leckte sich die klebrige Süßigkeit von der Oberlippe ab und lächelte Marrah schelmisch an. In dem Moment entdeckte Keru seine Mutter. Er sprang auf die Füße, rannte zum nächsten Blumentopf und riß ein gelbes Gänseblümchen aus.
    »Für dich, Mama«, sagte er und hielt ihr die Blume hin. »Weil du die allerschönste Mama bist ...«
    Marrah nahm die Blume, und sie schien in ihrer Hand zu wachsen. Sie drehte sie herum, und die Blüte leuchtete in der Sonne. Jedes Blütenblatt sah riesig aus. Gelber Blütenstaub stieg auf, und sie lachte über diese Liebesgabe ihres Kleinen.
    »Danke, mein Schatz«, sagte sie; eigentlich sollte sie ihn fragen, ob er etwas angestellt hätte, weil diese Blume ganz sicherlich als ein Versöhnungsgeschenk gedacht war, aber so leicht wollte sie es dem Dreikäsehoch nicht

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