Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
schreiend seine Axt; dem Krieger, der sein Pferd inzwischen wieder unter Kontrolle hatte, blieb nichts anderes übrig, als fluchend zurückzuweichen. Die anderen Männer trieben ihre Pferde jetzt in einem engen Kreis um Arang, aber statt ihn mit ihren Pfeilen zu durchlöchern, saßen sie einfach nur im Sattel und starrten ihn an, als wüßten sie nicht genau, was sie als nächstes tun sollten.
Plötzlich begriff Arang, was hier vorging. Jemand hatte diesen Kriegern befohlen, ihn gefangenzunehmen, und zwar nicht nur lebendig, sondern auch heil und unversehrt. Vielleicht wollten sie ihn Han opfern oder irgend etwas anderes mit ihm anstellen – was immer ihre Gründe sein mochten, sie wagten es nicht, auf ihn zu schießen oder ihn mit ihren Speeren zu drangsalieren oder auch nur mit der Keule auf ihn einzuschlagen. Ihr Auftrag lautete, ihn zu überwältigen, ohne ihm einen Kratzer zuzufügen – etwas, worauf sich Nomadenkrieger sehr gut verstanden. Ich kann sie von Stavan weglocken, bevor sie ihn endgültig erledigen, dachte Arang. Ich kann es schaffen!
Alle diese Überlegungen schossen ihm so schnell durch den Kopf, wie eine Sternschnuppe vom Himmel fällt. Noch bevor er mit dem Gedanken fertig war, hatte Arang seine Axt fortgeschleudert und sich durch eine Lücke zwischen zwei Pferden gezwängt. Er kam den Kriegern so nahe, daß er nur die Hände hätte auszustrecken brauchen, um einen Mann auf jeder Seite zu berühren, und ganz sicherlich hätten sie ihn geschnappt. Aber er tat etwas so Merkwürdiges, daß die Krieger zu verblüfft waren, um sofort zu reagieren: Er bewegte sich nicht, wie sich ein Mann bewegen sollte. Statt dessen schlug er ein Rad, machte einen doppelten Salto, sprang mit einem gewaltigen Satz auf sein Pferd zu und schwang sich Hals über Kopf hinauf – dann packte er die Zügel und trieb das Tier mit Fußtritten zum Galopp an.
Es war ein spektakulärer Sprung, der beste, perfekteste, gelungenste seines Lebens. Er vollbrachte ihn ohne nachzudenken, aus einem Instinkt heraus wie ein großartiger Tänzer, wenn Körper und Geist in perfekter Harmonie zusammenwirken. Noch bevor die Krieger begriffen, was geschehen war, galoppierte Arang davon, stürmte mit einem eigenen Schlachtruf auf den Lippen durch den Wald.
»Batal! « schrie er. Als der Name der Göttin aus seinem Mund kam, erlebte er einen Moment wilder Ekstase, während er zwischen den Bäumen dahinflog, weit über den Hals seines Pferdes gebeugt, um tiefhängenden Ästen auszuweichen. Blätter schlugen ihm ins Gesicht, Zweige streiften seine Haut und peitschten ihn. Der Wald selbst schien sich um ihn zu drehen.
Hinter sich hörte er die Nomaden die Verfolgung aufnehmen, und sie brachen in halsbrecherischem Tempo durch das Unterholz, Schlachtrufe und wüste Flüche ausstoßend, als die Äste nach ihnen schlugen, aber Arang wagte es nicht, sich umzudrehen, um den Abstand zu prüfen. Er flehte nur zur Göttin, daß sie alle hinter ihm her waren und keiner Stavan endgültig den Garaus machte; und er betete während jenes höllischen Ritts auch darum, schneller zu sein als die Krieger. Eine Zeitlang war er es auch ...
8. KAPITEL
Stavan erwachte, schlug die Augen auf und versuchte, den Kopf zu heben. Einen Moment sah er alles mit unnatürlicher Klarheit, dann begann sich der Himmel über ihm plötzlich zu drehen und die Bäume anzusaugen. Die blauweißen Wolken und grünen Blätter wirbelten in langsamen Kreisen um ihn herum wie eines von Arangs Tüchern, wenn er tanzte. Ganz in seiner Nähe schwankte ein dünner, seltsam aussehender Baum ohne Blätter in einem Luftzug hin und her, den Stavan nicht fühlen konnte. Sobald er den Baum ansah, wußte er, daß damit etwas nicht stimmte, denn er hatte Fasanenfedern statt Blättern in seiner Krone.
Plötzlich begriff Stavan, daß es überhaupt kein Baum war, sondern der Schaft eines Speeres. Er bewegte sich leicht, und der Speer bewegte sich mit ihm. Er blickte an sich hinunter und sah, daß er in seinem Körper steckte, ihn auf dem Boden festnagelte wie ein Kaninchen am Bratspieß. Der Schaft war mit seinem Blut beschmiert.
Stavan fühlte sich schwindelig und krank, aber verspürte keine Angst. Schmerz tobte in seinem Kopf, ein fürchterlicher, dröhnender Schmerz, als hätte ihm jemand die Augen in den Schädel hineinzustoßen versucht; doch an der Seite, wo ihn der Speer getroffen hatte, fühlte er seltsamerweise kaum etwas. Er fragte sich benommen, ob er seinen Todesgesang anstimmen und
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