Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
diese Weise half ihnen die Göttin, die Nomaden einzuholen; aber bevor sie sich auf den Wallach schwingen und gen Norden galoppieren konnten, mußten sie eine Entscheidung treffen – sie waren zu dritt, hatten jedoch nur ein Pferd.
Von nun an würde nur einer von ihnen weiterziehen können, und das traf selbstverständlich den Stärksten.
Marrah reichte Stavan die Zügel. »Hier«, sagte sie. Ihr wollte die Sprache in der Kehle steckenbleiben. Sie brannte darauf, auf Morgensterns Rücken zu klettern und hinter Keru herzujagen, den eigenen Schlachtruf auf den Lippen. Es sollte ihre Tat sein, in das Hansi-Lager zu schleichen und Arangs Fesseln zu lösen. Sie legte ihre Hand auf die Stavans und unterdrückte ihre leidenschaftlichen Wünsche. Vielleicht ritt er geradewegs in den Tod, und dennoch hätte sie alles dafür gegeben, seine Stelle einzunehmen. »Du kannst Fährten lesen«, sagte sie, »und Dalish und ich können es nicht. Du bist im Kämpfen ausgebildet und wir nicht. Du bist der beste Reiter von uns, und trotz aller Verwandlung bist du ein Krieger.« Sie hielt inne und preßte die Lippen zusammen, schluckte die Bitterkeit ihrer Enttäuschung hinunter. »Dalish und ich werden nach Shara zurückkehren. So weit ist es ja nicht. Wir warten dort auf dich! «
Stavan nahm die Zügel und schwang sich auf Morgensterns Rücken. Er versprach ihr, Arang und Keru zurückzubringen oder, falls sein Vorhaben scheitern sollte, zu Nikhans Lager weiterzureiten und Pferde nach Shara zu schicken, damit Marrah und Dalish zu ihm stoßen konnten. Er sprach, als würden sie nur wenige Wochen getrennt sein, aber seine Augen verrieten, daß er dunkle Zeiten vor sich sah.
»Grüße Luma von mir und sag ihr, daß ich sie liebe«, preßte er hervor, und Marrah versprach es ihm. Sie küßten sich zum Abschied, während er sich hinunterbeugte, um ihre Lippen zu erreichen, und sie sich ihm auf Zehenspitzen entgegenreckte; dann war Stavan fort, verschwand in raschem Galopp im Wald, und Marrah und Dalish blieben allein neben der Asche der Nomadenfeuer zurück.
Augenblicklich machten sie sich auf den Rückweg nach Shara, wobei sie einen weiten Bogen um die Lichtung schlugen, wo die geschlachteten Pferde lagen. Jetzt gab es keinen Grund mehr zur Eile, und als sie den Pfad entlangtrotteten, fühlte Marrah, wie sich eine trostlose Leere vor ihr auftat. Im Mittelpunkt jener Leere glomm indes ein Fünkchen Hoffnung: Vielleicht konnte Stavan Keru und Arang retten, am Ende war er gar in einer Woche oder zehn Tagen wieder bei ihr ...
Sie selbst konnte jetzt nichts anderes tun als warten. Plötzlich hatte sie eine Vision von einer neuen Welt, wo Frauen den größten Teil ihres Lebens damit zubrachten, auf etwas oder jemanden zu warten, und die Vorstellung gefiel ihr gar nicht.
Marrah verbrachte den Rest des Sommers damit, in einem abgedunkelten Raum zu sitzen und Hiknak zu pflegen. Einige behaupteten, es hätte Marrah das Herz gebrochen, als die Nomaden Keru raubten, und daß sie ebensoviel Pflege wie ihre Freundin brauche, aber das traf nicht zu. Marrah war sich durchaus klar über ihre Lage und worauf sie wartete, auch wenn ihr das Wissen unendlichen Schmerz bereitete; Hiknak dagegen verharrte in dunkler Umnachtung, besonders während der ersten Wochen, als sie zwischen Leben und Tod schwebte.
Zwei Tage, nachdem Stavan sie in die Stadt zurückgetragen hatte, war Hiknak schließlich aus der Bewußtlosigkeit erwacht, doch sie sprach kein Wort Sharanisch mehr. Manchmal fluchte sie auf hansi, und manchmal rief sie mit leiser, wimmernder Stimme nach ihrer Mutter, als wäre sie ein kleines Kind; aber die meiste Zeit lag sie reglos auf ihrer Schlafmatte, während sie Marrah verwirrt anstarrte und um ihren Verstand rang.
Je mehr Marrah sie zu trösten und zu beruhigen versuchte, desto verwirrter reagierte Hiknak, besonders nachts, wenn sie von Unruhe und Angst geschüttelt wurde. Vor dem Überfall war Hiknak Rechtshänderin gewesen; jetzt griff sie nach allem mit der linken Hand. Sonnenlicht – und sogar helles Lampenlicht – lösten unerträgliche Kopfschmerzen bei ihr aus.
»Mach dunkel! « stöhnte sie dann in gebrochenem Hansi. »Bastard Licht scharfe Zähne beißt mein Kopf Hurensohn! « Marrah konnte sehen, wie sie sich abmühte, die richtigen Worte zu finden, doch alles, was sie in jenen ersten Wochen aussprach, war wirr und unverständlich. Oft brach Hiknak schließlich in Tränen aus und schlug wehklagend mit den Fäusten auf ihr
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