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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Kissen, während alle ratlos um ihr Lager standen.
    Als sie endlich begriff, daß Hiknak von Licht Kopfschmerzen bekam, richtete Marrah das Zimmer so ein, daß niemand unangemeldet eintreten konnte, indem sie die Fenster mit Laken aus schwarzem Leinen und die Tür mit einer schwarzen Decke verhängte. Der Raum war derselbe, den Hiknak glückliche Jahre mit Arang geteilt hatte; doch ihr Erinnerungsvermögen machte nicht mit, so daß die jüngste Vergangenheit vollkommen aus ihrem Ge-dächtnis gelöscht schien und Arang für sie nicht mehr existierte.
    Als die Tage vergingen und sich ihre Fähigkeit zu sprechen allmählich besserte, wurde klar, daß sie sich in dem festen Glauben befand, noch immer im Zelt ihres Vaters zu leben. Oft verlangte sie Stutenmilch und wurde dann ärgerlich, wenn Marrah ihr geduldig erklärte, daß sie keine Stuten hätten; oder sie bat darum, ihre Freundin Iriknak sehen zu dürfen, die bereits vor Jahren bei einem Hansi-Überfall getötet worden war.
    Obwohl viele Leute kamen, um Marrah bei Hiknaks Pflege zu unterstützen, blieb am Ende nur eine Person. Seit Wochen saß Keshna nun schon am Lager ihrer Mutter und bewachte sie wie ein kleiner Hund. Zuerst hatte Lalah Keshna verboten, den ganzen Tag in dem dunklen Zimmer zu hocken. Für jeden stand fest, daß ein Kind draußen in der Sonne sein und mit seinen Altersgenossen spielen sollte; aber Keshna bekam derart heftige Wutanfälle, wenn sie versuchten, sie von Hiknak wegzubringen, daß es besser schien, ihr ihren Willen zu lassen. Wenn sie wie andere Kinder gewesen
    wäre, hätte Lalah Keshnas Gehorsam erzwungen – weil sich ein Kind, auch wenn es noch so jung war, nicht ständig seiner Familie widersetzen durfte; aber mit Keshna stimmte etwas nicht, und niemand konnte ihr helfen.
    Vor dem Überfall war Keshna ein lebhaftes, sehr mitteilsames kleines Mädchen gewesen, das es fertigbrachte, erstaunlich viel Schabernack in seinem zarten Alter anzustellen. Seit dem Tag am Fluß weigerte sie sich jedoch zu sprechen. Marrah, Dalish, alle flehten sie an, ihnen zu erzählen, was passiert war bei dem Nomaden-angriff; doch obwohl Keshna ihre Fragen eindeutig verstand, benahm sie sich wie jemand, der vergessen hatte, wozu Sprache diente.
    Zuerst dachten sie, die Nomaden wären für Keshnas seltsames Verhalten verantwortlich; aber bis auf ein paar Schrammen schien die Kleine den Überfall ohne Verletzungen überstanden zu haben, und sie fabrizierte alle Arten von Geräuschen: Sie knurrte, grunzte, heulte, und manchmal – bei ganz seltenen Gelegenheiten – lachte sie sogar. Sie war hellwach – nur zu wach, während sie wie ein in die Enge getriebenes kleines Tier in die Welt hinauslugte, war schwer zu kontrollieren, neigte zu Wutanfällen aus heiterem Himmel und wilden Tränenausbrüchen, die sie erschöpft zurückließen. Manchmal griff sie andere Kinder ohne Warnung an, aber es war sinnlos, sie zu bestrafen oder zu versuchen, vernünftig mit ihr zu reden, wenn ihre eigene Mutter sie nicht erkannte.
    Hiknak wurde achtzehn in jenem Sommer, aber wochenlang benahm sie sich, als wäre sie wieder zwölf. In Hiknaks Vorstellung lebte ihre ganze Familie noch; sie hatte niemals schreiend vor Angst dagestanden, während Vlahans Krieger ihre Angehörigen abschlachteten und sie, Hiknak, dann vergewaltigten; niemals war sie Vlahans Konkubine gewesen oder von ihm geschlagen oder zum Beischlaf genötigt worden.
    Vielleicht war das eine Gnade, aber an die schönen Erlebnisse konnte sie sich leider ebensowenig erinnern. Jene Wochen, die sie in der Schneehöhle verbracht und sich mit Arang der Liebe hingegeben hatte, waren vollständig aus ihrem Gedächtnis gelöscht; keine Schwangerschaft kam bei ihr vor, niemals hatte sie geholfen, Nikhan zu besiegen; sie kannte keinen Ort mehr, wo Frauen respektiert wurden, war niemals Mutter gewesen. Als Keshna das erste Mal versuchte, auf ihren Schoß zu klettern, hatte Hiknak das kleine Mädchen wie eine Fremde betrachtet.
    »Wer das?« fragte sie.
    »Das ist Keshna«, erklärte Marrah.
    »Wer?
    »Keshna, deine Tochter.«
    Hiknak lachte und machte dann ein verwirrtes Gesicht. Keshna schlang ihrer Mutter die Arme um den Hals und wollte sich an sie schmiegen, aber Hiknak schob sie weg.
    »Sharanak? «
    »Dies ist nicht Sharanak«, erklärte Marrah geduldig. »Dies ist Keshna, deine Tochter.«
    Ein Schimmer des Wiedererkennens glomm in Hiknaks Augen auf, verblaßte jedoch wieder, noch bevor sie sich dazu äußern konnte. Sie hob

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