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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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hatte. Daher erwartete man von einem Jungen oder Mädchen am Tag seiner Volljährigkeit, daß er oder sie die erste Nacht des Erwachsenendaseins mit einem Liebespartner verbrachte, um die Göttin Erde auf die alte überlieferte Weise zu verehren. Wurde ein Junge zum Mann, pflegten die jungen Frauen für ihn zu tanzen, und er suchte sich unter ihnen eine Partnerin für die Nacht aus; wurde ein Mädchen zur Frau, dann tanzten die jungen Männer, und sie traf ihre Wahl.
    Natürlich gab es Ausnahmen. Die Mutterleute wußten und akzeptierten, daß die Göttin Erde viele verschiedene Arten von Blumen wachsen ließ; deshalb durften diejenigen, die ihr eigenes Geschlecht bevorzugten, unter ihren Geschlechtsgenossen wählen, und diejenigen, die keinerlei sinnliches Verlangen empfanden, durften die erste Nacht ihres Erwachsenenlebens (und so viele darauffolgende Nächte, wie sie wollten) allein verbringen.
    Aber bis zu jener Nacht, in der Luma und Keshna volljährig wurden, hatte noch keiner jemals von einer jungen Frau gehört, die Männer mochte und sie zugleich durch ihr brüskes Verhalten ermunterte, sich von ihr abzuwenden. Ein solches Benehmen war mehr als grob, es forderte geradezu Unheil und Katastrophen heraus – Ernteausfälle, Seuchen, Unfruchtbarkeit und schwere Unwetter. Wahrscheinlich gab es nur eine einzige Frau in den Gesegneten Ländern, die die Frechheit besessen hätte, ein solches Sakrileg zu begehen. Diese junge Frau hieß Keshna, und in jener speziellen Nacht war sie – wie so häufig – nicht zu bändigen.
     
    Zunächst schien alles glattzugehen. Als verschiedene würzig duftende Hölzer in die Lagerfeuer geworfen und die Trommeln für den Tanz gestimmt wurden, deutete noch nichts auf den Skandal hin, der sich langsam zusammenbraute. Die fünfzehn jungen Männer, die hofften, von einer der neuen Frauen als Gefährte für die Nacht auserwählt zu werden, nahmen ihre Plätze am Strand vor der Statue der Göttin der Wogen ein. Sie war eine hübsche kleine Göttin, aus Stein gemeißelt, mit langem Haar, das wie Seetang aussah, und einem dicht mit glänzend polierten Muscheln besetzten Fischschwanz. Es hieß, Sie sei der Geist, der die Wellen tanzen ließ und die Netze der Inselbewohner mit Fischen füllte. Die Göttin der Wogen wurde auf Alzac sehr verehrt, und auch an diesem Abend lagen frische Blumen zu Ihren Füßen.
    Da die Göttin leidenschaftlich gerne tanzte, verbeugten sich die jungen Männer zuerst vor Ihr, dann vor den Ältesten der Insel und schließlich vor den neuen Frauen, Luma und Keshna. Sie faßten einander bei den Händen, stellten sich in einer wellenförmigen Reihe auf und warteten auf den Beginn der Musik. Die Tänzer waren von ganz unterschiedlicher Größe und Statur; einige hochgewachsen, andere eher klein, einige dünn, andere stämmig; aber sie alle standen stolz und selbstbewußt da, ohne die befangene Haltung ihrer nomadischen Geschlechtsgenossen im Norden. Die Männer des Muttervolkes wuchsen in der Überzeugung auf, daß jeder einzelne von ihnen sexuell anziehend war. Man ging davon aus, daß Frauen sich von einer großen Vielfalt maskuliner Schönheit verlocken ließen, und es gab keinen allgemeingültigen Maßstab für männliche Attraktivität – ebensowenig wie es einen Maßstab für den schönsten Vogel oder den atemberaubendsten Sonnenuntergang gab. Von klein auf lernten sie, »daß das schönste Geschenk eines Mannes an seine Geliebte eine langsame, behutsame Berührung und ein freundliches Herz« war. So hatte jeder der jungen Männer, die jetzt vor Luma und Keshna standen, eine ausreichend hohe Meinung von sich, um zu hoffen, er könnte der Auserwählte sein.
    Die älteren Frauen flüsterten einander zu, was für ein hübscher Anblick die jungen Männer seien, und die jüngeren Frauen zogen die Unterlippe zwischen die Zähne und fühlten die Hitze des Verlangens durch ihre Lenden strömen. Nachdem der Tanz vorbei war und Luma und Keshna ihre Wahl getroffen hatten, konnten nach der alten Tradition die jungen Frauen von Alzac und die älteren Frauen ohne festen Partner die übriggebliebenen jungen Männer einladen, mit ihnen in die Wälder zu gehen und sich auf die angenehmste Weise trösten zu lassen.
    Die Tänzer, nur in knappe lederne Lendenschurze gekleidet, stellten ihre gut eingeölten Körper zur Schau, die im Feuerschein glänzten. Viele hatten kurze Schnüre mit Muscheln in ihr Haar geflochten, um die Göttin der Wogen zu ehren, und einige hatten ihre

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