Althalus
Hände vor die Augen und rannte in den Tempel, dicht gefolgt von Argan.
Doch während sie durch die Tür rannten, verschwanden sie.
Und der Dolch sang in frohlockender Erfüllung und sein Gesang weihte Dweias Tempel aufs Neue. Blumen schmückten die Wände des Heiligtums, und Brot, Früchte und goldener Weizen waren als Opfergaben auf dem Altar dargebracht vor der gigantischen Marmorstatue der Göttin des Obst-und Ackerbaus und der Wiedergeburt.
Althalus, der noch am Fenster im Haus stand, versuchte die Poesie seiner Wahrnehmung des Tempels zu verdrängen. »Es ist nur ein Bauwerk«, brummte er, »aus Stein gemacht, nicht aus Träumen.«
»Würdest du damit aufhören, Althalus!« Dweias Stimme in seinem Kopf klang verdrossen, und merkwürdigerweise schien sie von der Marmorstatue hinter dem Altar zu kommen.
»Wenigstens einer von uns muss mit dem Kopf in der Wirklichkeit bleiben, Em«, entgegnete er. »Das ist die Wirklichkeit, Liebster. Hör auf, sie verunstalten zu wollen.«
Mit Tränen in den Augen warf die bleiche Leitha einen flehenden Blick zum Fenster. »Helft mir, Vater!«, beschwor sie Althalus. »Helft mir, oder ich muss sterben.«
»Nicht solange noch ein Funken Leben in mir ist, meine Tochter«, versicherte er ihr. »Erschließe mir deinen Geist, auf dass ich dir bei dieser schrecklichen Aufgabe beistehen mag.«
»So ist es viel besser«, säuselte Dweia wie ein mildes Frühlingslüftchen. »Du beharrst also darauf?«, zwang Althalus die Worte stumpf hervor. »Ich führe dich dabei, Geliebter. Besser sanft geleitet zu werden, als mit Zwang zur Pflicht getrieben.«
»Mir deucht, ein drohender Ton haftet deiner lieblichen Stimme an, o Emerald«, säuselte auch Althalus. Wenn Dweia dieses Spiel treiben wollte, kostete es ihn nichts, mitzumachen.
»Wir werden noch darüber sprechen, Althalus. Doch nun leihe deinen Gedanken und deine Kraft unserer blassen Tochter, die dich so sehr benötigt, auf dass sie die Aufgabe erfüllen kann, die ihr auferlegt ward!«
Und so geschah es, dass Althalus' Geist sich behutsam mit dem Geist des sanften Mädchens verband, das im Herzen seine Tochter war, sodass ihre Gedanken eins wurden.
Und der Gesang des Dolches jubilierte.
Und mit der Vereinigung ihrer Gedanken teilte Althalus die Qual seiner Tochter und drang eine geringe Spanne zurück zu der Zeit, da die bleiche Leitha das erste Mal diese Leere verspürte, welche alle anderen umgibt, die sie jedoch noch nie zuvor gekannt hatte.
Und da verstand er schließlich und nahm das Schrecknis der furchtbaren Aufgabe seiner Tochter wahr. »Komm zu mir, mein geliebtes Kind«, sprach er, »und ich werde dein Schutz und Schirm sein.«
Und ihr Gedanke, der ihn überflutete, war voll Dankbarkeit und Liebe.
Und dann richteten sie ihren vereinten Gedanken zu dem vom Glück verlassenen Koman. Und Komans Geist wurde überspült von einem Laut, der kein Laut war, denn wisset, noch nie zuvor hatte Komans Geist Stille gekannt.
Murmelnd, murmelnd plätscherten die Gedanken jener, die sich vor dem Tempel befanden, über Koman, so wie die Gedanken anderer in den Gewölben seines Geistes gesungen hatten, seit er seinen ersten Atemzug tat.
Da näherte sich die bleiche Leitha dem Diener Ghends, und argwöhnisch richtete er seinen Geist auf sie und wandte sich ab von den herumirrenden Gedanken jenseits der Tempelmauern.
Und die leidende Leitha schloss sanft jene Tür hinter dem wachsamen Koman. Und der erstaunte Koman tastete um sich und suchte mit seinem Geist jenen Laut, der jederzeit mit ihm gewesen war.
Doch wisset, er war nun nicht mehr mit ihm, und der Geist Komans schrak zurück vor dem Schrecken der Stille. Da klammerte er sich mit seinem Gedanken an Argans Geist, trotz der Verachtung, die er für den abtrünnigen Priester hegte.
Doch die bleiche Leitha, der Tränen über die Wangen flössen, sandte ihren sanften Gedanken aus, und wisset, die offene Tür zwischen den Gedanken Komans und Argans schloss sich für immer.
Und Koman schrie, als noch tiefere Leere ihn umgab.
Und er fiel auf den Boden des Heiligen Tempels der Göttin Dweia und klammerte sich in unendlicher Verzweiflung an den Gedanken, der sie war, und sie schloss im selben Augenblick jene Türen, die allzeit für ihn offen gestanden hatten.
Und die Seele Althalus' war voller Mitleid.
»Ich flehe dich an, geliebter Vater«, schrie der von Schmerz durchdrungene Gedanke der blassen Leitha, »richte nicht deine Verachtung für diese Grausamkeit auf mich. Sie ist
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