Altherrensommer
»Abfallwirtschaftsbetrieb« steht hinten auf Jürgens leuchtend orangener Signalweste. Um seinen Hals hängt diesmal keine Taschenlampe, sondern eine Trillerpfeife und mit der Rechten stützt er sich auf eine Forke. Eine Autoritätsfigur, zweifellos. Jetzt ist mir auch klar, warum er einem
zweiten Treffen zwischen uns zustimmte: Jürgen ist stolz, dass er hier arbeitet. Fünf Stunden jeden Dienstag und Sonnabend kontrolliert er, dass wirklich nur Grünabfall und Wertstoffe entsorgt werden. Also kein Plastik, keine Chemikalien, keine Datenträger oder Batterien. Das sehen nicht alle ein, die bis hier herausgefahren sind, und machen ihn, den Grundsicherungs-Rentner mit Minijob, für die akribischen Bestimmungen des Landratsamtes verantwortlich. Das findet Jürgen ungerecht, weil doch alles im »Müll-ABC« steht. »Schwarz uff weiß, sehense« und »Moment, junger Mann«, so was sagt Jürgen oft während dieser Stunden.
Sechs Container für Papier und Kartonagen, drei Altglascontainer, zwei abgestellte LKW-Auflieger für Metallschrott und ein kleinerer für Styropor stehen auf dem Gelände. Aber keiner für Elektroschrott, alte Bildschirme und ähnliches. Jürgen lässt mich stehen und steuert auf einen Audi A 6 zu, dessen Fahrer genau dies von der Rückbank holt: ein Kofferradio, ein Bügeleisen und eine ComputerTastatur. Er muss sie wieder mitnehmen, darf aber stapelweise gefaltete Kartonpappe in den ersten geöffneten Container werfen. Jürgen drückt sie mit der Forke bereitwillig nieder. »Riesling« lese ich noch von weitem auf einem der Kartons, als ein BMW X1 mit einachsigem Anhänger auf den Platz fährt und hochgetürmtes Astwerk mitbringt. Erst jetzt bemerke ich vier große Hügel im hinteren Teil des Platzes. Einen wüsten Haufen grüner Baum- und Busch-Abfälle, einen kleinen Berg grob gehäckselter grünbrauner Pflanzenreste sowie zwei Haufen unterschiedlich brauner Erde. Fachkundig erklärt mir Jürgen, dass der Grünschnitt zunächst grob und nach einer gewissen Lagerungszeit fein
gehäckselt werde. Heraus käme unerhitzte, also noch Unkraut enthaltende, und erhitzte, leicht übersäuert gedüngte Erde. »Virzisch Liter, zwee fuffzich der Sack«. Verstehe. Die Leute bringen Grünschnitt her und nehmen Blumenerde mit. Wieder spurtet Jürgen los. Aus dem winzigen Kofferraum eines Sportcabrios zieht eine Frau einen gelben Sack hervor, der ganz offenbar mit Gras gefüllt ist. Jürgen kann gerade noch verhindern, dass sie ihn ausleert, denn – wie ich später erfahre – gemähtes Gras verstopft den Häcksler, gärt und fault und suppt schließlich ins Grundwasser des unbefestigten Containerhof-Bodens.
In der Zufahrt des Platzes hat sich ein Stau gebildet, weil der BMW-Fahrer beim Rückwärtsrangieren mit Anhänger raumgreifend quersteht. Ich schaue die kurze Autoschlange entlang: Daimler A-Klasse, Daimler R-Klasse, Audi Kombi, VW Tiguan mit getönten Scheiben. Im Laufe der folgenden Stunde sehe ich noch einen Porsche Cayenne, zwei blaue Volvo Kombi und einen Daimler Viano. Wenn’s keine »Sport Utility Vehicles« oder sonstig hochgebockten Edeltraktoren sind, dann sind es immer noch Limousinen, bei denen die Heckklappe per Knopfdruck von innen aufgeht. Mir geht derweil ein Licht auf: Wer zu Hause mehr Grünschnitt entsorgen muss, als in die Biotonne passt, besitzt einen Garten. Und wer mehr Pappe entsorgt, als in die blaue Tonne geht, braucht ein Auto mit Stauraum. Na klar, es sind die Bessergestellten, die hier draußen aufkreuzen. Mehrheitlich jedenfalls. Zwei, drei Weinbauern auf Traktoren mit großen Anhängern sind dabei. Ja, es fahren auch ein paar kleine Seats und rostige Polos vor, aus denen junge Männer die Reste der letzten Party schwungvoll in den Altglascontainer pfeffern. Häufiger aber begrüßt Jürgen
mit gnädigem Kopfnicken füllige Herren in khakifarbenen Chino-Hosen, Polo-Shirts und italienischen Slippern, die – mal freundlich fragend, mal kurz angebunden – nach dem richtigen Container für ihr schweres Altmetall fragen. Diese Gutsituierten sind darüber hinaus auch mehrheitlich über 50, soweit man das raten kann. Die Jugend schläft vielleicht noch, samstags um halb zwölf.
»Siem«, sagt Jürgen, zieht die Augenbrauen hoch und lächelt. »Siem Euro bis jetzt. Jut, wa?« Manche geben Trinkgeld. Soweit ich beobachte, eher Damen als Herren. Aber denen hilft Jürgen ja auch öfter beim Ausladen und Abwerfen sperriger Gegenstände. Überhaupt – für einen Platzwart mit
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