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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Malessa
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Dir.«

    Saskia stellt die leeren Saft- und Weingläser aufs Tablett: »Uwe ist ungeduldiger geworden, seit er pensioniert ist. Komisch, nicht?« »Wieso ist das komisch?«, wehrt er sich: »Warten lassen ist demütigend. Habe ich früher in der
Firma so gemacht. Bewerbern und Bittstellern und Beschwerdeführern und nervigen Kunden erst zeigen, wo der Hammer hängt. Egal, ob sie von Russland oder England angeflogen kamen – immer erst einmal ein Viertelstündchen im Vorzimmer köcheln lassen.« Saskia und ich schütteln in gespielter Empörung den Kopf. Uwes Redefluss scheint vom Rotwein und vom Thema kräftig beschleunigt: »Aber mit Rentnern kann man es ja machen! Auf der Post, am Bankschalter, an der Kaffee-Bar im Einkaufszentrum – angeblich warten die Amerikaner, die in Großstädten wohnen, insgesamt sechs Monate ihres Lebens vor roten Ampeln. Ich will nicht wissen, wie viel Lebenszeit das in der Servicewüste Deutschland ausmacht.« »Unaufmerksames Personal behandelt alle Kunden so, egal wie alt sie sind«, wende ich ein. »Nicht immer. Du stehst da vor einem Tresen, einer Verkaufstheke, einem Schalter. Du willst was – und es werden erst Gläser fertig gespült, T-Shirts sorgfältig zusammengefaltet, Papiere sortiert und abgeheftet, es wird in Ruhe mit Kolleginnen zu Ende getratscht. Es gibt immer etwas Wichtigeres zu tun, als sich dem Kunden zuzuwenden. Und warum? Weil da ja ein alter Sack steht, oder eine faltige Fregatte. Die müssen ja alle Zeit der Welt haben.«

    Ich nehme mir vor, drauf zu achten. Die »Rote Ampeln«-Statistik, die Uwe ins Spiel brachte, besagt nämlich zudem, dass Großstadt-Amis auch fünf Jahre ihres Lebens Schlange stehen. 46 Ich weiß aber jetzt schon, dass »Ausrasten« entschieden übertrieben war, um Uwes Ärger im Wartezimmer zu beschreiben. Nach einem herzlichen Abschied fahre ich fröhlich am Schild »Durchfahrt verboten« vorbei und denke mir auf dem Forstweg: Vielleicht bedeutet der vielbeschworene »neue Rhythmus«, den Rentner finden
sollen, dass sie ihren Alltag strukturieren, ohne ihn zu vertakten. Dass Termine zwar nicht zwingend, aber ernst genommen sein müssen. Dass den allermeisten Tätigkeiten ihre Wichtigkeit, ihre Bedeutung, ihr Wert vom Handelnden selbst verliehen werden, das war doch schon zu Berufszeiten so. Und was das Warten angeht: »Nichtstun«, echten »Müßiggang« praktizieren, also auf dem Sofa in Fernsehzeitschriften blättern oder gedankenverloren der Wandfarbe beim Trocknen zuschauen – das kann zu Hause und für kurze Phasen ein echter Genuss sein. Ein gern zitiertes Klischee lautet, Männer könnten immer nur eine Sache gleichzeitig. Also z.B. warten müssen oder das Nichtstun genießen. Ich glaube, wir können doch beides. Im Wartezimmer wäre das nur eine Frage der inneren Einstellung.

11
WORAN HABEN SIE ES KÖRPERLICH GEMERKT?

    Eine Glatze können auch Männer unter 50 haben. Und manche unter 40 rasieren sich sogar eigens eine. Ob der jugendstraffe, hochglanzpolierte Kopf besonders sexy oder besonders gewaltbereit, ob er anziehend oder abschreckend wirken soll, mag von Schädel zu Schädel verschieden sein – dem tatsächlich altersbedingt Kahlköpfigen ist das egal. Er, der »Silver Liner«, legt und klebt seine verbliebenen Strähnen aus dem noch vorhandenen Haarkranz hoffentlich nicht quer über die Zentralplatte. Er stülpt und klebt auch kein Toupet über den breit gewordenen Scheitel und vergeudet kein Geld für dubiose Haarverpflanzungsoperationen oder wirkungslose Tinkturen. Was macht er? Er führt seine Liebste ins Kino und zwar in einen Film mit Bruce Willis. Oder in einen mit Kevin Costner. Oder mit Sean Connery. Die tragen und zeigen mit Nonchalance und Sexappeal, was wissenschaftlich korrekt »androgenetische Alopezie« heißt und als »erblich bedingter Haarausfall« bei 53% aller männlichen Weißen unvermeidlich ist – eine Glatze.

    Mit sexueller Aktivität oder gar Potenz hat das Nullkommanichts zu tun. Sozialpsychologe Ronald Henss von der Saarbrücker Universität meint zwar belegen zu können, dass Glatzköpfige von Frauen weniger attraktiv und von männlichen Kollegen weniger selbstbewusst wahrgenommen werden 47 , aber – was hilft’s? Es wäre im doppelten Wortsinn »an den Haaren herbeigezogen«, wollte man das Lebensalter und die Lebensfreude eines Mannes am Vorhandensein eines griffsicheren Schopfes ablesen. Nein, in Wirklichkeit ist es genau andersrum: »Alt aussehen« lassen ihn nicht die Haare, die er

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