Altherrensommer
Jetzt, zum 30. Hochzeitstag, möchte er seine Frau mit einem niegelnagelneuen Kaffeeautomaten überraschen, der die
Bohnen leiser zerkleinert und alles kann: Latte Macchiato, Cappuccino, Espresso, Kaffee mild, Kaffee stark – einfach alles. Das Konfigurieren der Programme »Vorbrüh-Aroma«, »Rapid Steam« und »Spülen/Entkalken« erfordert die sorgfältige Lektüre einer knapp 80seitigen Gebrauchsanweisung. Er hat sie gelesen. Er hat alles ausprobiert. Das Gerät schweigt. Und blinkt. Ihm kommt in einer Aufwallung ohnmächtiger Wut in den Sinn, wie oft er beim Online-Buchen von Eintrittskarten und Zugfahrkarten schon« fehlerhafte Eingabe«, »Passwort vergessen?« oder »Die Seite kann nicht angezeigt werden« auf dem Bildschirm lesen musste. Dass er bei Geldüberweisungen Zahlendreher eingetippt hatte und neulich bei IKEA die bestellten Möbelteile im Hochregallager einfach nicht finden konnte. Beim Hochzeitstag-Frühstück – den Pulverkaffee hat er nach alter Väter Sitte mit kochendem Wasser in einer Filtertüte aufgebrüht – zeigt ihm seine Herzallerliebste, wie man die elektronische Uhr des Backofens einstellt, damit die Brötchen kross werden. Dies und vieles andere mehr ein Mal gezeigt zu bekommen, ist normal. Beim zweiten Mal knifflig, beim dritten Mal eine Demütigung. Die Frage »wann kapiert er es endlich?« (wo er doch in seiner Firma ganze Walzwerke ans Laufen brachte!) ist schwer zu beantworten. Schließlich sind manche Geschicklichkeiten in der Küche ja nicht eindeutig »richtig« oder »falsch«, sondern buchstäblich Geschmackssache: Wie man eine Zwiebel häutet, klein würfelt, aber nicht quetscht, glasig anbrät, aber nicht verbrutzelt – darüber kann einem der Appetit vergehen. Einem? Nein, beiden.
Ich habe schätzungsweise drei Dutzend Männer gefragt, ob sie nach ihrer Pensionierung ein Hobby neu entdeckt
oder erstmalig angefangen hätten. Die Hälfte von ihnen sagte spontan: »Ja, Kochen!« Nachfrage: Tun Sie das gemeinsam mit Ihrer Frau? Antwort: »Nein, geht nicht. Ich will ja kochen, nicht diskutieren.« Das klingt für Frauen wenig schmeichelhaft und ehrt die wenigen fröhlichen Ausnahmen umso mehr. Es gibt harmonisch eingespielte Küchen-Duos, die vom Einkauf der Zutaten bis zum Servieren der Desserts alles perfekt aufgeteilt haben: Du machst den Salat, ich die Beilagen, Du das Fleisch, ich die Sauce, Du den Nachtisch, ich die Getränke. Glückwunsch, wenn es bei Paaren so ist. Die Regel ist es nicht. Und die Gründe liegen auf der Hand. In der Betriebskantine und beim Essen in der Mittagspause werktags daheim ging es um Nahrungsaufnahme. Mit irgendwas musste man sich ja »stärken«. An den Wochenenden ging es um Spaß. Beim Kochen und beim Essen. Es ging natürlich auch um die staunenden »Oohs« und »Aaahs« der Freunde und Gäste. Mit sorgfältig vorbereiteten Lamm-Quarrees in Kräuterkruste und einem reduzierten Balsamico-Fond an Entenbrust konnte man Eindruck schinden, konnte Ehre einlegen und – das denkbar Beste von allen Festen – die eigene Gattin ein bisschen stolz machen auf ihren Mann! Hinterfragt man allerdings die Handlungsmotive, wäre womöglich anzumerken: Nicht aus Fürsorge für seine Gäste kocht der Mann (»schmeckt’s Euch denn?«), sondern aus Vorsorge für seine Anerkennung (»na, kann ich das?!«).
Jetzt, im unendlich gedehnten Wochenende des Ruhestands, soll Kochen und Essen auch werktags Spaß machen. Und gut sein! Man hat ja ausreichend Zeit dafür. Blöd nur: Im Alltag gibt es nicht halb so viel Lob und Anerkennung dafür wie zuvor. Auch simple Erkenntnisse
können überraschen. Je öfter und regelmäßiger jemand kocht, umso selbstverständlicher und unbemerkter wird sein Mühewalten. Für die jahrzehntelang zwischen Herd und Esstisch kreisende Familienfrau ist das ebenso selbstverständlich wie das schwäbische Sprichwort »Nicht gemeckert ist genug gelobt«. Für den kochenden Neu-Rentner ist es möglicherweise eine herbe Motivationsbremse. Und ein Grund, zu den Essgewohnheiten des Berufslebens zurückzukehren: Gut ist, was schnell geht. Hatte seine Frau ihn nicht erst gestern dafür gelobt, dass er schnell den Müll entsorgt, mal eben schnell den Teppich gesaugt und schnell noch das Fahrrad repariert hatte? Nur wenn er »schnell was warm macht«, lobt sie ihn nicht.
Auf sie wirkt dieser neue »Platz-da-jetzt-koche-ich«-Mann unbewusst zunächst grenzüberschreitend und zudringlich. Sie freut sich über sein Interesse, ja sicher, sie
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