Altoetting
Plotek an Menschen noch nie mochte. An sich selbst noch viel weniger. Aber wie es manchmal eben so ist, man ist selbst nicht frei davon. Im Gegenteil. Alles, was Plotek an anderen nicht leiden konnte, war bei ihm noch viel schlimmer. Trotz dieser Erkenntnis gab es keine Besserung, was so viel bedeutete wie unveränderte Hodenschmerzen. Allein wegen dem Gedanken an die Metastasen. Die Metastasen waren bei Plotek nicht in den Hoden, sondern im Kopf – alles nur gedanklich natürlich, eingebildet und ausgedacht. Heute waren es Metastasen und morgen Influenza. Jede Woche hatte er eine andere Krankheit. Mehrmals im Jahr war er bei den unterschiedlichsten Ärzten. Einmal wegen der Leber, dann wegen den Nieren, dem Herzen und allen anderen Organen. Plotek war ja im Prinzip nicht dumm. Ganz und gar nicht, eher das Gegenteil. Er hatte das Abitur mit eins Komma fünf absolviert und konnte darüber hinaus auch noch einen überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten geltend machen. Plotek hätte also wissen müssen, dass das immer wieder dasselbe Spiel ist. Hat er auch. Trotzdem war er unbelehrbar. Das ständige Sich-krank-Fühlen war Ploteks eigentliche Krankheit. Ansonsten war er kerngesund. Manchmal hatte er einen Schnupfen, auch mal einen Husten, aber wer hat das nicht. Sonst war alles in Ordnung. So oft wie Plotek beim Arzt war, schien er als Todeskandidat prädestiniert zu sein. In Wirklichkeit war alles nur ein Hirngespinst. Fachmedizinisch nennt man das Hypochondrie. Hypochonder: Milzsüchtiger oder grämlicher, zu finsteren Vorstellungen neigender Mensch, heißt das im Wörterbuch-Sinne. Natürlich hätte Plotek das nie zugegeben. Also war keine Erkenntnis zu erwarten, auch kein erster Schritt und somit keine grundlegende Besserung. Aber egal.
Jetzt, da im fremden Bett, waren die Schmerzen bei Plotek real, also nichts mit Einbildung, nichts mit Hypochondrie. Die Ursache war Alkohol und ein lang anhaltender Kater. Ploteks einziger Wunsch: Aspirin.
»Wo bin ich?«, hat er gefragt.
Keine Antwort. Dann ein Klopfen. War es der Kopf oder war es die Tür? Sicherheitshalber hat er »Herein!« gesagt.
Arno stand im Türrahmen. »Guuuuuteeeeen Moooorgeeeen!«
Zwei Worte drangen aus seinem Mund und schwangen sich zu einer Erinnerung auf. Plotek ist unter dem Plumeau abgetaucht und hat sich tot gestellt. Arno dagegen zog, wie mit mehreren Leben und ebenso vielen Händen, die Decke weg und stellte ein sprudelndes Glas auf den Nachttisch.
»Raus mit dir und runter mit dem!«, sagte Arno, während er mit einem Kleiderbügel wedelte, dass der daran hängende Anzug wie ein Lagerfeuer knisterte.
Das war eben sein Geschäftssinn. Arno hat nicht nur den guten Morgen und das Aspirin zu Plotek ins Zimmer gebracht, sondern auch einen akkurat aufgehängten Zweireiher. Es war ein Armani oder ein Boss, auf jeden Fall war der Anzug von der Kategorie »allererste Sahne«. Hat man den Anzug gesehen und dann Plotek, hätte man denken müssen, die zwei sind wie Öl und Wasser, wie unüberwindliche Gegensätze. Oder, was nicht zusammengeht, kann nicht Zusammenkommen. Dazwischen liegen Welten, quasi Gosse und Manager-Lobby in einem Raum.
Plotek wollte sofort nach dem Glas greifen, aber denkste, schon hatte Arno es wieder weggezogen.
»Erst aufstehen . . . dann . . .«, hat Arno gesagt und Plotek mit dem Glas geködert.
Nie!, dachte Plotek einerseits und spürte dabei den Kopf, den Schmerz und das Pochen an den Schläfen. Andererseits sprudelte die erlösende Acetylsalicylsäure noch immer in Arnos Hand. Also, ohne lange zu überlegen, ist Plotek aus dem Bett gesprungen und hat das Glas in einem Zug hinuntergekippt.
»Anziehen!«, sagte Arno und bot Plotek den Anzug an wie eine zweite Haut.
»Nie!«
»Du musst!«
»Nein!«
»Doch!«
»Gar nichts muss ich!«
»Nein, natürlich nicht, um Himmels willen«, versuchte Arno einzulenken, weil er sofort gemerkt hat, dass Plotek sturer ist als gedacht. »Gar nichts musst du, Plotek, gar nichts, warum auch? Es ist bloß . . . na ja, die ganze Prominenz, verstehst du? Alle sind sie da, mit Rang und Namen und warten, Plotek . . . warten auf dich, ganz allein auf dich.«
So viel Schmeichelei ließ selbst Plotek nicht kalt. Das merkte Arno natürlich. Also legte er sofort nach.
»Ich bitte dich, sei so gut, zieh dich doch an!«, hat Arno ganz unterwürfig gesagt und Plotek den Anzug in die Arme gedrückt.
Aber noch immer war da eine hartnäckige Weigerung bei Plotek, zumindest in Bezug auf den
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