Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
Vom Netzwerk:
Anzug. Wenn schon Aufgabe aller Vorsätze bezüglich des Theaters, hat Plotek gedacht, soll heißen, obwohl hoher und heiliger Schwur, niemals mehr auf die Bühne zu gehen, jetzt doch wieder, dann wenigstens rein äußerlich in unverändertem Gewand. Wenn er schon das Gesicht innerlich verlieren sollte, dann zumindest nach außen hin ohne geschönte Visage. Quasi das schlechte Gewissen vor sich her tragen. Das ging Plotek jetzt durch den Kopf, und dabei hat er natürlich gewusst, dass das theoretisch Selbstbetrug ist, aber praktisch nicht so schlimm. Als er das eine Auge auf das Kleidergrößenschild des Anzugs und das andere auf Arno geworfen hat, ist ihm der Armani oder Boss in dessen Armen noch spanischer vorgekommen. Erstens erkannte Plotek exakt seine Größe und zweitens sah er den zufriedenen Gesichtsausdruck von Arno. Das ergab zusammen den erneuten Beweis, dass alles kein Zufall, sondern genaue Planung war. Plotek hat angefangen, trotz Katerkopf und zurückkommender Erinnerungen, langsam hinter dem Arno-Spektakel ein abgekartetes Spiel zu vermuten. In Kombinationsdingen war er schon immer allen anderen eine Nasenspitze voraus gewesen. Meistens dauerte es etwas länger, bis Plotek etwas gecheckt hatte, aber dann zog er sofort messerscharfe Schlüsse daraus. Er stellte Zusammenhänge her, wo vordergründig keine waren und dahinter ein Trojanisches Pferd trabte. Aber egal.
    »Nie!«, hat Plotek gesagt, den Anzug gemeint und den Armani oder den Boss zu Arno zurückgeworfen.
    »Nein, brauchst du auch nicht. Warum auch. Lächerlich. Ist doch alles nebensächlich. Anzug hin, Anzug her. Hauptsache wir sind in einer halben Stunde beim Empfang«, ging Arno mit seinem Verständnis hausieren und versuchte, Ploteks Zweifel zu zerstreuen.
    Mit Erfolg. Also ohne Anzug, dafür mit schwerem Kopf und dem Gefühl, alles geht doch mit rechten Dingen zu, kam Plotek mit Arno dann im Altöttinger Rathaus an, um dort als Heilsbringer, quasi eher Jesus als Judas, empfangen zu werden.

3

    War das ein Empfang im Kleinen Sitzungssaal vom Altöttinger Rathaus! Extraspitzenklasse, vom Feinsten war das. So etwas hätte sich Plotek nicht einmal in einem seiner großspurigen Träume ausgedacht. Und die gab es genug. Aber auch ohne Träume war er schon immer empfänglich fürs Großspurige gewesen. Das klingt jetzt vielleicht nach einem Klischee, ist aber im Fall von Plotek keines. Plotek hat immer schon zwischen Größenwahn und Minderwertigkeit geschwankt. Es war wie eine mathematische Gleichung mit ihm als Unbekanntem. Zuerst kam der Größenwahn, dann die Minderwertigkeit. Dann wieder der Größenwahn. Immer schön abwechselnd, mal so, mal so. Das eine folgte auf das andere. Wobei sich Plotek, völlig ausgeliefert, immer zum Spielball beider Mächte machte. In Wirklichkeit stand er aber immer nur in der Mitte, als einfaches Mittelmaß jenseits von Minderwertigkeit und Größenwahn. Vor allem schauspielerisch war er schon immer mittelmäßig gewesen. Sonst wäre er kaum in Marburg, Detmold oder Tübingen gelandet, sondern in Wien, Hamburg oder Berlin. Intuitiv hat er das auch gespürt, weil man das spüren muss, wenn man ein Gespür für sich selbst hat. Plotek hatte eins. Natürlich wollte er es nicht glauben. Wer will das schon. Plotek nicht. Zum Beispiel früher, in Detmold, neunzehnhundertweißderteufelwas, hat er den Leonce in Büchners Leonce und Lena gespielt. Plotek war als Protagonist, als Königssohn, allererste Sahne in einer grauenhaften Inszenierung. Er hat nicht nur gespielt wie der Sohn vom König, sondern wie ein junger Gott. Es gab immer wieder Szenenapplaus und zum Schluss sogar Standing Ovations. Natürlich ist Plotek der Jubel in den Kopf gestiegen. Er hat sich über Detmold hinausgedacht und sich bereits an der Spitze gesehen – an der Theaterspitze, an der gesamtdeutschen Theaterspitze. Mit geschlossenen Augen hatte er nächte- und tagelang von der Zukunft geträumt. Mit offenen auch. In wachem Zustand war er aber noch immer nicht in Wien, Hamburg oder Berlin, sondern nach wie vor in Detmold, Detmold, Detmold, nichts als Detmold. Es war also nicht die Spitze, die Plotek da erleben durfte, sondern das Gegenteil, ein breitbandigflächendeckendes ganz Unten. Plotek war natürlich enttäuscht, als ihm der Irrtum irgendwann wie ein Klappmesser in der Hosentasche aufgegangen ist und den Größenwahn wieder zusammengestutzt hat. Fingerhutklein war Plotek dann nur noch, ein personifiziertes Minderwertigkeitsgefühl. Ein

Weitere Kostenlose Bücher