Altoetting
unmittelbaren Umgebung der Passionsspiele zu suchen?«
»Ich weiß es nicht, wirklich. Aber vermutlich ja.«
»Und das Bild? Auch vom Onkel?«
»Welches Bild?«, hat Manuel wie aus der Pistole geschossen gefragt. Ein wenig zu fix und zu groß war das Nichtwissen, so dass Plotek sofort klar wurde, dass das alles nur Show war.
»Sie wissen schon, der Hieronymus Bosch für Arme.«
»Woher wissen Sie das?«, war Manuel jetzt irritiert.
»Telepathie! Und ich weiß auch, was es bedeutet«, hat Plotek gesagt. Natürlich war das gewagt, weil von wissen konnte keine Rede sein, höchstens von vage ahnen. Also formulierte er Manuel gegenüber seine Vermutung so, dass aus einer vagen Ahnung eine felsenfeste Gewissheit wurde.
»Es ist das Abendmahl. Vier von den Jüngern sind Granz, Zeiler, Mutschler und der Brunner Arno, zumindest den Gesichtszügen nach. Der Zeiler ist der Judas. Und die anderen drei sind es auch, zumindest dem Kostüm nach. Komisch nicht? Und Jesus ist ziemlich feminin, verdammt feminin. Also, wenn nicht jeder wissen würde, dass Jesus ein Mann war, hier auf dem Bild könnte er auch gut und gerne eine Frau sein. Nicht wahr? Natürlich ist das die Topf Annegret! So weit alles klar. Die einzige Unklarheit ist die vierzehnte Person. Ja, auf dem Bild sind nämlich nicht nur die zwölf Jünger und der Jesus abgebildet, sondern auch noch ein Unbekannter. Ganz in Schwarz, wie ein Schatten, mit Flügeln, aber ohne Gesicht. Undeutlich und trotzdem gut zu erkennen. Das kann nur ein Racheengel sein. Das ist klar. Aber wer? Das ist die Frage. Dreimal dürfen Sie raten. Richtig, unser Mörder natürlich!«
Jetzt hat es Pater Manuel so geschauert, dass sich ihm eine Gänsehaut auf die Arme, die Beine und sogar ins Gesicht geschmuggelt hat. Das merkte Plotek sofort. Also setzte er noch eins drauf.
»Granz ist tot. Zeiler ist tot. Mutschler ist tot. Arno lebt noch. Und der Racheengel geht noch immer um. Folge?«
Jetzt lange Pause – quasi Rhetorik. Aber von Manuel kam noch immer nichts. Plotek hat langsam Zweifel bekommen. So stur kann niemand sein, und Beichtgeheimnis hin oder her, hier ging es nicht um Ladendiebstahl, nein, um einen dreifachen Mord, vermutlich mit Tendenz auf mehr. Das muss auch Manuel klar gewesen sein. Und dennoch kam nichts. Plotek hat also den Pater wortlos stehen lassen. Das war die radikale Konsequenz jetzt. Wenn das Pferd nicht läuft, weil’s nicht laufen kann, kriegt es eben den Todesstoß. Im Fall von Manuel, die Strafe durch Nichtbeachtung. Als Plotek schon wieder in Richtung Hotel war, ist Manuel ihm hinterher.
»Herr Plotek, haben Sie eine Uhr?«
Was für eine Frage, natürlich hatte Plotek keine Uhr. Nein, noch nie. Doch Moment mal, ja zur Konfirmation hatte er kurzzeitig eine. Ein Geschenk vom Onkel. Die war angeblich wasserdicht. Natürlich hatte Plotek das sofort ausprobiert. Und: Sie war nicht wasserdicht. Folge: Sofort kaputt. Seither hatte Plotek ein zwiespältiges Verhältnis zu Uhren. Natürlich auch zur Zeit, im übertragenen Sinne jetzt. Obwohl, je älter Plotek wurde, umso belastender empfand er die immer weniger werdende Zeit, die noch vor ihm lag. Quasi zeitlicher Schrumpfungsprozess. Also, je mehr Jahre er auf dem Buckel hatte, umso kürzer war das subjektive Zeitempfinden. Früher als Kind hatte er immer ein völlig anderes Verhältnis zur Zeit gehabt. Damals konnte er die Sommerferien zum Beispiel nie erwarten. Bis zum Sommer schienen nicht nur mehrere Jahreszeiten vergehen zu wollen, sondern mit ihnen auch Jahre bzw. eben nicht. Die Zeit stand bis zu den Sommerferien still. Es ging nichts voran. Und jetzt, schwuppdiwupp, kaum war es Frühjahr, war’s schon wieder Winter. Ein Jahr, zwei Jahre, Rente, tot. Der Sommer und der Herbst und alles dazwischen war eigentlich nicht vorhanden. Also, lange Rede, kurze Antwort.
»Nein!«, hat Plotek gesagt.
»Dann sollten sie sich nach einer umschauen!«, kam es postwendend von Manuel zurück.
Plotek hat sich sofort umgeschaut. Und: nichts! Plotek stand natürlich wieder mal auf dem Schlauch. Erst viel später hat es ihm dann gedämmert. Aber bis dahin musste doch noch jemand ins Gras beißen.
Kaum war Plotek im Hotel, hat schon wieder das Telefon geklingelt. Aber dieses Mal war es nicht anonym, sondern die Frau des Fremdenverkehrsdirektors. Frau Zeller war am Apparat und hatte es ganz wichtig. Sie könnte nicht reden, hat sie gesagt, und hat trotzdem gesprochen: »Ich muss Ihnen was zeigen, Herr Plotek. Ich schlage also
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