Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
Mensch, deine Träume sind also wohl eher darauf zurückzuführen, dass du einen Pferdehuf an den Kopf bekommen hast.“ – „Nein, Henri, Miraj hat gesagt, dass sogar nicht-magische Menschen die Gegenwart von Schwarzmagiern spüren können, wenn sie nah sind.“ Henri stand auf und blickte auf sie hinab. „Anne, ich bin der Auserwählte. Wenn ich ihre Gegenwart nicht spüren kann, dann kann es niemand.“ Anne hatte ihren Bruder noch nie so überheblich erlebt. Er bot ein beinahe lächerliches Bild, denn er war noch immer blass und sah fürchterlich geschwächt aus. Gleichzeitig baute er sich vor ihr auf und nannte sich den Auserwählten.
Anne wollte sich schon abwenden, als ihr einfiel, dass ein besserer Moment für ihre wichtige Frage an ihren Bruder wohl nicht kommen würde. „Henri, warum seid ihr zu Vater und mir gekommen und habt uns in Gefahr gebracht?“ Henri erstarrte und erwiderte in überheblichem Tonfall: „Nun, hat dir Miraj das noch nicht erzählt? Wie es scheint, hat er dir doch sonst alles über unsere Welt verraten.“ Nun wurde auch Anne zornig. „Warum glaubt ihr immer alle, dass ihr mich wie ein Kleinkind behandeln könnt? Ich werde in diesem Jahr 14, so alt wie du warst, als du an der Universität aufgenommen wurdest. Und mein Vater ist bei diesem Angriff gestorben. Ich habe ein Recht darauf, gewisse Dinge zu erfahren.“ – „Aber du bist nicht wie ich. Bilde dir ja nicht ein, du würdest irgendwelche Kräfte in dir tragen.“ Anne stutzte einen Moment, war aber zu verwirrt, um jetzt auf Henris Worte einzugehen. „Warum seid ihr zurückgekommen, Henri?“, drang sie weiter in ihn. „Verdammt, es war eine Prüfung“, platzte es aus ihrem Bruder heraus. „Ich wollte meinen Abschluss an der Universität machen und so wurde ich dazu ausersehen, die Schwarzmagier herauszulocken und zu besiegen. So wie es in der Prophezeiung für mich vorgesehen ist.“ Anne schnappte nach Luft. „Und wegen so einer lächerlichen Prüfung musste Vater sterben? Was ist das für eine Universität, die solche Prüfungen abhält?“ Henri sah so wütend aus, dass Anne glaubte, er würde sich jeden Moment auf sie stürzen. Doch da packte ihn jemand von hinten – Miraj. „Wollt ihr euch vielleicht noch ein bisschen lauter anschreien, damit die Schwarzmagier gleich Bescheid wissen, wo sie uns finden? Henri, zumindest von dir hätte ich etwas mehr Verstand erwartet. Und das nicht zum ersten Mal während dieser Mission“, polterte Miraj. „Jetzt reißt euch zusammen und lasst uns essen.“
Nachdem sie schweigend die trockenen Samen und Kräuter hinuntergewürgt hatten, die Miraj in dieser spärlichen Landschaft mühsam zusammengesucht haben musste, setzten sie ihren Weg fort. Henris Lehrer war der Ansicht, dass es seinem Studenten nicht so schlecht gehen konnte, wenn er sich mit seiner Schwester streiten konnte. Zunächst liefen sie ein Stück zu Fuß, dann, als es kühler wurde, ging es zu Pferde weiter. Miraj hatte, um die Streithähne zu trennen, Henri auf Animus verfrachtet und ritt nun mit Anne auf Blizzard. Anne hatte kurz in Erwägung gezogen, ihrem neuen Mentor von ihrer Vision zu erzählen, aber sie grollte ihm ebenfalls wegen seiner Rede. Natürlich, von ihr war ja nicht mehr Verstand zu erwarten gewesen, als dass sie unbekümmert in der Gegend herumschrie.
Aber es gab noch etwas, das sie vom Reden abhielt. Im Traum hatte sie INVISIBEL benutzt – und Henri hatte zu ihr gesagt, sie solle bloß nicht auf die Idee kommen, dass sie Kräfte hätte. Tatsächlich aber verstand sie nun nicht, warum sie noch nie darüber nachgedacht hatte. Ihre Mutter hatte Henri ihre magischen Fähigkeiten vererbt, warum also sollte Anne nicht auch einen Teil davon abbekommen haben?
Kapitel 11: Die Unsichtbare
Nachdem sie etwa eine Stunde geritten waren, stieg Henri abrupt vom Pferd. „Ich fühle mich nicht gut“, erklärte er, „ich kann keinen Schritt mehr weiterreiten.“ Miraj runzelte die Stirn. „Das ist kein guter Zeitpunkt für eine Rast. Kannst du nicht wenigstens noch ein paar Stunden durchhalten? Dann sind wir in der Schutzzone und können uns ausruhen, so lange wir wollen.“ – „Lass uns nur zwei oder drei Stunden schlafen. Dann wird es mir bessergehen und wir werden die Schutzzone trotzdem noch vor Sonnenaufgang erreichen.“ – „Also gut“, seufzte Miraj. „Legt euch hin, ich halte Wache.“
Als Anne die Augen nach schätzungsweise einer Stunde wieder aufschlug, war das erste, was sie
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