Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
erzählt. Als ich aufwachte, fand ich mich in dem hohen Gras wieder und die Schwarzmagier waren bei Henri.“ Miraj sah sie zweifelnd an, bohrte aber nicht weiter nach.
Jetzt, wo sie in Sicherheit waren, spürte Anne zum ersten Mal wieder, wie müde sie war. Von den Strapazen des Rittes fielen ihr beinahe die Augen zu. Oder lag es an dem Zauber, den sie benutzt hatte? Miraj sah sie gähnen und sagte: „Wir sollten noch ein Stück weiter reiten. Ganz in der Nähe gibt es einen Fluss. Dort können wir unseren Durst löschen und finden außerdem köstliche Früchte. Anschließend können wir dort gefahrlos eine Weile schlafen.“ Anne nickte und sie machten sich wieder auf den Weg.
Sie war unendlich müde – und doch entging Anne nicht die Schönheit der Umgebung. Obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war, erweckte die Gegend den Eindruck, dass sich hier rund um die Uhr Dutzende von Gärtnern zu schaffen machten. Es gab exotische Bäume mit ebensolchen Früchten, endlose Wiesen mit Blumen in allen Farben und Teiche voller Fische. Schmetterlinge flogen vorbei, Vögel zwitscherten in der Ferne und einmal sah sie ein Eichhörnchen vorbeihuschen. Vielleicht haben mich die Schwarzmagier in Wahrheit getötet und das ist das Paradies, dachte Anne. Im nächsten Moment schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Sie wusste doch ganz genau, dass dies alles mithilfe von Zauber gemacht war. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie sich daran gewöhnt hatte, in einer magischen Welt zu leben und die Naturgesetze zu vergessen, die sie gelernt hatte.
Dann dachte sie wieder an Henri. Wo war ihr Bruder nun? Lebte er überhaupt noch? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken bei dem Gedanken, ein weiteres Mitglied ihrer Familie zu verlieren, ganz gleich, wie schlecht er sich ihr gegenüber benommen hatte. Ihr fiel ein, dass sie nun Henri gar nicht mehr genauer zu den Beweggründen für die Prüfung fragen konnte. Sie hatte noch immer nicht verstanden, warum die Universität sie alle so in Gefahr gebracht hatte. Kaum dass sie an ihrem Rastplatz angelangt waren, fragte Anne Miraj danach, noch bevor sie die erste – wirklich köstlich schmeckende – Frucht ganz aufgegessen hatte. „Hatte Henri denn keine Angst vor der Prüfung?“
Miraj schluckte und sah ihr dann direkt in die Augen. „Anne, du hast deinen Bruder in den letzten Tagen erlebt. Er war zutiefst unzufrieden. Und dies nicht nur, weil euer Vater gestorben ist und er seine Prüfung nicht geschafft hat. Sondern auch, weil er selbst an allem schuld war. Henri hat nämlich sowohl den Zeitpunkt als auch die Aufgabe seiner Prüfung gewählt.“ Anne erstarrte. Ihr Bruder hatte sie alle wissentlich in Gefahr gebracht? Miraj fuhr fort. „Du hast ja mitbekommen, wie überzeugt Henri davon sprach, der Auserwählte zu sein. Als er an der Universität begann, war er sich da nicht so sicher. Aber natürlich ging das Gerücht schon damals um und entsprechend schwierig war es für ihn, von seinen Mitschülern akzeptiert zu werden. Die Grünmagier zogen die Prophezeiung an sich nicht in Zweifel, schließlich stammt sie von einem weisen Mitglied aus ihrem Orden. All die Jahre über hatten sie aber geglaubt, der Nachfahre der Grünmagier könne nur aus ihren Reihen stammen und es war ihnen größtenteils niemals in den Sinn gekommen, dass die Formulierung auch auf einen Menschen vom gelben Volk zutraf.
Als der Hohe Rat bei Henris Aufnahmeprüfung verkündete, jener sei vermutlich der Auserwählte, machte ihn das in der Bevölkerung zunehmend unbeliebt. Viele der reichen Familien, die schon seit Generationen in diesem Gebiet leben, waren fest davon überzeugt, dass ein Kind aus ihren Reihen eines Tages gegen die Schwarzmagier ziehen würde, und fassten diese Verkündigung als Verrat des Hohen Rates auf. Entsprechend schwer hatte es Henri an der Universität. Wann immer er eine Aufgabe nicht mit Bravour bestand, setzten ihm die Grünmagier-Kommilitonen zu und machten sich über ihn lustig. Ja, selbst einige Professoren waren ihm alles andere als gewogen. Seine Mitstudenten vom gelben Volk wiederum, die keine so bekannte und mächtige Mutter gehabt hatten und bei Weitem nicht über seine Kräfte verfügten, meinten ihrerseits, Henri halte sich für etwas Besseres. Weil sie insgeheim neidisch auf ihn waren, schnitten sie ihn.
Freunde fand Henri nur unter meinem Volk. Nicht nur, weil ich mich dort immer für ihn einsetzte. Das rote Volk ist – wie ich dir ja bereits erzählt
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