Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
dass sie tatsächlich Magie angewandt hatte. In all den Jahren auf dem Hof hatte sie nie bemerkt, dass sie irgendetwas Außergewöhnliches beherrschte. Natürlich hatte sie damals auch die Worte nicht gekannt. Wie aber konnte es sein, dass niemand auf die Idee gekommen war, dass sie magische Kräfte besaß? War es denn so außerhalb der Norm, dass eine Mutter ihre Fähigkeiten auch auf die Tochter übertrug? Sie wollte gern mit jemandem darüber sprechen, traute sich aber nicht, es Miraj zu sagen. Außerdem hatte der nun gerade andere Sorgen. Sie sah, wie es in ihm arbeitete.
Anne dachte an Henri und fragte sich, wie es ihm jetzt ging. Sie fühlte Mitleid, dass er den Schwarzmagiern so hilflos ausgeliefert war. Gleichzeitig schien es ihr nicht real. Ihr Vater war tot, ihr Bruder verschleppt und sie selbst konnte zaubern. Das waren zu viele Veränderungen für nur so wenige Tage.
Kurz vor Mittag erreichten sie eine große Steinformation, deren einzelne Felsen einen Kreis bildeten. Miraj atmete auf. „Jetzt sind wir in Sicherheit, Anne. Dies ist der erste Steinkreis, der Eingang zum Land der Grünmagier. Es ist eine magische Pforte, die jeden einlässt außer den Schwarzmagiern. Zum Glück ist es auch in der Vergangenheit bereits vorgekommen, dass Menschen hierher gebracht wurden, die keine Fähigkeiten besaßen. Es wird uns also niemand daran hindern, den Eingang zu passieren. Anne öffnete den Mund, um wieder eine Frage zu stellen, doch Miraj unterbrach sie. „Wir müssen schweigend durch diesen Kreis reiten und geradewegs zwischen diesen beiden Felsen hindurch.“ Miraj zeigte auf zwei große Steine. Anne fragte sich, woher er wusste, welche die richtigen waren. Soweit sie sehen konnte, unterschieden sie sich in nichts von den anderen Felsen der Gruppe. „Sobald wir hindurch sind, werden wir uns ausruhen und ich werde deine Fragen beantworten.“ Anne blieb also still. Miraj ritt mit Animus voraus und sie folgte ihm auf Blizzard.
Als sie durch den Kreis ritt, spürte Anne ein seltsames Prickeln. Für einen Moment wurde ihr schwindelig und sie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, blieb ihr der Mund offen stehen. Um sie herum erblickte sie üppige grüne Wiesen voll mit den herrlichsten Blüten. Wie war das möglich? Sie hatte doch eben hinter dem Kreis meilenweit nur Wüste gesehen. Miraj sah ihr an, was ihr durch den Kopf ging. „Wie gesagt, dies ist ein magischer Eingang. Ab jetzt befinden wir uns unter dem Schutz der Grünmagier.“ – „Aber ich verstehe nicht. Wenn wir nicht durch den Steinkreis geritten wären …“ – „dann wären wir weiter in der Wüste geblieben“, erklärte Miraj. „Aber könnte so nicht jemand aus Versehen diese Gegend betreten, indem er denselben Weg nimmt wie wir?“ Miraj lächelte und kramte etwas aus Blizzards Satteltasche. Es war ein funkelnder Smaragd. Er legte ihn in Annes Hand. „Das ist unser Passierschein. Alle Mitglieder der Universität erhalten ihn, um diesen Eingang zu benutzen. Er ist ein Zeichen des Vertrauens der Grünmagier. Dieser hier hat Henri gehört. Da du nun eine Weile hierbleibst, solltest du ihn bei dir tragen. Er wird dich schützen.“
„Was glaubst du, was die Schwarzmagier mit Henri machen werden?“ fragte Anne, nachdem sie den Smaragd eingesteckt hatte. Mirajs Miene verfinsterte sich. „Ich weiß es nicht“, sagte er ausweichend. „Was ihm geschieht, hängt sicherlich davon ab, wie er sich dort verhält. Ich würde jedoch nicht damit rechnen, dass wir ihn so bald wiedersehen.“ Anne schluckte. Sie hatte so etwas schon befürchtet. „Wie konnte das nur geschehen, dass sie ihn entführen?“ Miraj blickte düster vor sich hin. „Die Schwarzmagier haben mich in eine Falle gelockt. Einige von ihnen zeigten sich ganz in der Nähe unseres Lagerplatzes. Ich bin mit dem Schwert hinter ihnen hergelaufen und habe Henri vorher geweckt, damit er Wache hält. Ich habe jeden einzelnen von ihnen erwischt. Aber wer konnte ahnen, dass eine noch viel größere Zahl hinter uns war und zusieht, wie ihre Kameraden getötet werden? Während ich die einen verfolgt habe, sind die anderen zu euch gekommen und haben Henri mitgenommen. Die restliche Geschichte kennst du besser als ich. Allerdings ist mir noch immer unklar, wie du entkommen konntest.“ Miraj machte ein erwartungsvolles Gesicht. Soll ich es ihm sagen, fragte sich Anne. Doch schon hörte sie sich antworten: „Ich schlafwandle manchmal, vermutlich hat dir Vater bereits davon
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