Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
Morgen brachen Miraj und Anne gleich nach dem Frühstück in Richtung Ring des roten Volkes auf. Als Mirajs Stallmeister die Pferde herbeiführte, hatte Anne beinahe den Eindruck, Blizzard sei beleidigt, dass man ihn schon wieder antrieb. Wenigstens einer, der mich versteht, dachte Anne. In letzter Minute bevor sie losritten, brachte Gisalen noch einen Kuchen, den sie selbst in aller Frühe gebacken hatte, damit Anne nicht mit leeren Händen in ihrem neuen Zuhause ankam. Anne kamen die Tränen, als sie sah, wie rührend sich die ältere Dame um sie kümmerte. Seit ihrer Mutter hatte niemand mehr so für sie gesorgt. Gisalen trocknete Annes Tränen und ermunterte sie, alsbald zu Besuch zu kommen – denn das konnte ihr der Hohe Rat schließlich nicht verbieten.
Als sie endlich unterwegs waren, bemerkte Miraj: „Ich bin überrascht, dass meine Haushälterin dich so herzlich verabschiedet hat. Normalerweise braucht sie eine Weile, bis sie Leute ins Herz schließt. Mit Jana ist sie bis heute noch nicht warm geworden.“ Anne horchte auf. Miraj schien sich doch Gedanken über Jana zu machen. Vielleicht hatte sich Gisalen geirrt, als sie meinte, dass er die Grünmagierin nicht sah? Sie zögerte eine Weile mit ihrer Antwort, da sie sich nicht entscheiden konnte, über wen sie lieber mehr herausfinden wollte, Gisalen oder Jana. Schließlich sagte sie: „Gisalen scheint eine Abneigung gegen Grünmagier im Allgemeinen zu haben. Sie stammt vom roten Volk ab, nicht wahr?“ Miraj nickte. „Das hast du gut beobachtet. Die Grünmagier gestehen mir zu, meine Haushaltskräfte selbst auszuwählen. Leider sind sie bei Menschen ohne magische Fähigkeiten weniger tolerant.“ – „Das verstehe ich nicht. Du sagtest doch, sie hätten Angst vor dem roten Volk. Ich dagegen kann ihnen doch nichts tun, also könnte es ihnen doch recht egal sein, wo ich lebe.“ Miraj lächelte. „Es ist wieder einmal typisch, Anne, dass du dir deine eigenen Gedanken dazu machst. Aber die Grünmagier treffen ihre Entscheidungen weniger aus Sicherheitsbedenken als aus Stolz. Sie sind die höchste Macht in Altraterra, doch immerhin halten sie dem roten Volk zugute, dass es über gewisse magische Fähigkeiten verfügt und über relevante Dinge Bescheid weiß. Du bist in ihren Augen zwar ein Wesen, von dem sie geschworen haben, es vor den Schwarzmagiern zu schützen, und deshalb darfst du hier leben. Aber du stehst wiederum nicht so hoch in ihrer Gunst, dass sie dir zugestehen, dich in ihrer unmittelbaren Umgebung aufzuhalten. Ich kenne diese Argumentation, es war bei meiner Mutter dasselbe.“
Wieder zögerte Anne mit ihrer Antwort. Miraj war im Begriff, das Thema zu wechseln und über seine Mutter zu sprechen. Anne jedoch war noch mit den Grünmagiern beschäftigt und wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihm ein paar weitere Fragen zu stellen. Schließlich ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. „Aber das würde ja bedeuten, dass sich die Grünmagier von den Schwarzmagiern gar nicht allzu sehr unterscheiden. Letztlich geht es ihnen beiden um Macht. Und die Verschiedenheit besteht nur darin, wie sie mit den nicht-magischen Menschen umgehen.“ Miraj bedachte sie mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte. Er lag irgendwo zwischen Entsetzen und Bewunderung. Schließlich griff er die Zügel von Blizzard, sprang selbst vom Pferd und zog auch Anne herunter, sodass sie hinter einem Busch zum Stehen kamen.
„Anne, ich sage dir das jetzt nur einmal, deswegen hör mir bitte gut zu. Ich habe bereits früher festgestellt, dass du aus den Dingen, die du hörst, oft sehr kluge Schlüsse ziehst. Und auch hier liegst du nicht ganz falsch mit deiner Überlegung. Aber: Solche Gedanken sind sehr gefährlich. Wenn du sie jemals vor einem Grünmagier aussprichst, läufst du Gefahr, aus diesem Land gewiesen zu werden. Der Hohe Rat reagiert auf solche Vorträge sehr empfindlich. Sie klingen für ihn nach Aufstand. Die Menschen des roten Volkes, die sich weigern, auf die Universität zu gehen, argumentieren ganz ähnlich. Sie sagen, dass beide Sippen der Magier nur nach der Macht streben. Also leben sie lieber unter sich, wo sie wissen, womit sie rechnen müssen. Und einige von ihnen ziehen daraus sogar den Schluss, dass es besser ist, sich mit den Schwarzmagiern zu verbünden, da ihre beiden Magien einander ähnlicher sind.“ Miraj hatte die Worte sehr hektisch ausgesprochen, nun wurde er wieder ein wenig ruhiger. „Beherzige bitte, was ich dir gesagt
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