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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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stecken in jedem drin, genetisch bedingt.«
    »Geld, Sex und Macht«, schmunzelte ich. »In dieser Reihenfolge?«
    »Da gibt es keine Reihenfolge. Aber am verheerendsten, ganz klar, die Nummer drei. Siehe Petazzi.«
    »Dantes Landsmann.«
    »Korrekt. Wusstest du, dass Dante zum Tode verurteilt wurde, weil er sich mit den Mächtigen im Lande anlegte?«
    »So wie ein gewisser Robert Usedom vor 30 Jahren?«
    »Sehr schmeichelhaft«, lachte er und klopfte mir auf die Schulter. »So besoffen kann ich gar nicht sein, dass ich mich mit einem Dante vergleichen würde. Außerdem ist Flavio Petazzi der Stifter der Florentiner Dante-Medaille. Ekelhaft, was? Aber das nur nebenbei.«
    »Wenn man so will, haben sich auch die Jungs von der Arischen Front mit den Machthabern angelegt. Sogar speziell mit Petazzi.«
    »Das stimmt.« Seine Miene verdüsterte sich, soweit ich das bei diesen Lichtverhältnissen erkennen konnte. »Ich sage ja, das Leben ist zynisch. Gott ein Spieler.«
    »Gott?«
    Er kam näher. »Max, bitte gib mir noch einen Schluck. In meinem Kopf rast alles durcheinander, mir geht es nicht gut. Und Talisker ist wirklich mein Lieblings…«
    »Ich weiß. Aber der letzte Schluck ist für mich.« Ich setzte an und trank. Usedom sah mir mit weit aufgerissenen Augen zu. »Hier«, sagte ich und reichte ihm die Flasche. »Ein kleiner Rest ist noch übrig.«
    »Danke. Wir können auch bei Maria noch einen trinken. In unserer Lieblingskneipe. Liegt ja praktisch auf dem Nachhauseweg.«
    »Im Cacciatore inglese, wie?«
    Er setzte die Flasche, die schon an seinen Lippen klebte, wieder ab und schüttelte den Kopf. »Nix inglese. Englisch bedeutet nicht aus England, sondern engelisch, wie ein Engel. Ein Engel, der über die Kneipe wacht. Was hätte ein britischer Jäger da verloren? Apropos …« Mit der linken Hand zog er ein gefaltetes Blatt Papier aus der Hosentasche und reichte es mir.
    »Was ist das? Schon wieder eine deiner Storys?«
    »Nicht von mir. Von Beatrice. Ihre Traumerzählung, ich habe sie übersetzt. Bitte lies sie.« Er kippte sich den Rest Talisker hinter die Binde, dann holte er aus und warf die leere Flasche in hohem Bogen vom Turm.
    »Du bist auch kein echter Revoluzzer mehr«, sagte ich.

15
     
    Einst war ich Kind unter vielen Kindern. Als Schwestern und Brüder lebten wir gemeinsam im Hügelland, fern der Städte. Meine Geschwister liebten mich, und ich liebte sie. Ging es durch die Wälder, lief ich voran. Niemand kannte die Wege besser als ich.
    Einmal aber verirrten wir uns. Ich war krank und verlor den Weg. Die Geschwister wollten umkehren, doch es war zu spät. Sie baten mich, langsamer zu gehen, doch wer langsam geht, stirbt. Sie hofften auf Hilfe, doch dem Menschen da draußen wird nicht geholfen. Wir wanderten bis zum Untergang der Sonne. Dann rasteten wir auf dem Gipfel eines Berges, aßen und tranken nichts.
    Am nächsten Morgen aber sahen wir um uns herum das ganze Land von Wolken bedeckt und jenseits der Wolken, in heiliger Ferne, das Meer. Keiner von uns war je dort gewesen. Ein Weg wand sich den Berg hinab. Silbrig glänzend wie Schlangenhaut teilte er die Wolken und brachte uns sicher nach Hause.
    Der Zorn meines Vaters verrauchte, sobald er uns sah. Geschwind lud er Gäste ein, rief nach Musik, ließ Speisen und Getränke auffahren. Es wurde getanzt und gesungen, den ganzen Tag hindurch. Das Licht vieler Fackeln vertrieb die Nacht. Meine Geschwister lachten, froh über ihre Rückkehr. Nur ich blieb stumm.
    Mein Vater kam auf mich zu und fragte mich, warum ich nicht tanzte.
    Ich aber schwieg.
    Willst du meinen Wein nicht trinken?, fragte er. Verachtest du uns und unsere Freude?
    Ich aber schwieg.
    Erzürnt packte er mich am Arm und zerrte mich aus dem Kreis der Feiernden. Er führte mich hinaus in seinen Garten, wo starke Fackeln loderten. Wir schritten blühende Beete und Büsche entlang, seine Hand zeigte mir, was er gepflanzt und angelegt hatte. Wunderbare Blumen gab es dort, die entsetzlich dufteten, Bäume von erschreckendem Wuchs und Gräser voller Gift.
    Gefällt dir das?, fragte er mich drohend. Gefällt dir, was ich aus eigener Kraft errichtet, mit eigenen Händen gestaltet habe? Ich schüttelte den Kopf.
    Da verfluchte er mich und schickte mich fort.
    Lange lief ich umher, viele Wege ging ich. Nicht aber den Weg auf den Gipfel, den nur findet, wer sich verirrt. Endlich verließ ich das Hügelland und wandte mich der Ebene zu. Ich betrat fremde Städte und lernte zu heilen. Ärztin

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