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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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frau in schlafkleidung. sie bekommt, seltener fall von roberts präzisionsarbeit, eine kugel in die stirn, genau zwischen die augen. robert trägt ein unterhemd, seine alten jeans und turnschuhe ohne socken. sein t-shirt liegt zu füßen eines baumstamms am fluss; es dient einem toten straßenköter als leichenhemd.
    danach ist die nächtliche hauptstraße gespenstisch leer. niemand wagt sich ins freie. die polizei rückt an, braucht aber geraume zeit, bis sie sich ein bild der lage gemacht hat. robert schreitet derweil die straße ab. er hat keinen blick für die toten, die er zurückgelassen hat, keinen blick und kein ohr für die verletzte, schreiende frau an der seite ihres sterbenden freundes. er hört lediglich die stimmen, die ihn durch die nacht dirigieren, die ihn mechanisch, kaltblütig, wölfisch handeln lassen. vereinzelt noch lugen köpfe um straßenecken, denen er einen schuss nachschickt. er trifft nicht mehr. dann haben sicherheitskräfte den straßenzug weiträumig umstellt. robert ist allein.
    Mit einer Handbewegung bedeutete mir Usedom zu halten. Wir hatten den Heiligenbergturm erreicht, der nach Süden, auf die Altstadt blickt. Ich fuhr den Ford rechts ran und stellte den Motor ab. Es war totenstill hier oben.
    zehn minuten später – todesschützen haben inzwischen dächer erklommen, spezialeinsatzkräfte arbeiten sich dunkle gassen entlang – sind gedämpfte schüsse aus dem innern eines hauses zu hören. es handelt sich um jenes kino, in dem das zu beginn getroffene pärchen eine vorstellung besucht hat. die spezialeinheiten verschaffen sich zugang, finden eine erschossene kassiererin in ihrem blut, eine vor schmerzen ohnmächtige platzanweiserin und, in reihe eins des großen saales, den schützen, der die verbliebene munition dazu benutzt hat, die leinwand des kinos so zu zerschießen, dass die fetzen, die seitlich und von oben herunterhängen, nicht größer sind als ein handteller. bei seiner verhaftung werden ihm der unterkiefer und zwei finger der linken hand gebrochen. außerdem schlägt man ihm mehrfach ins gesicht, so dass sich blut aus seiner nase mit dem des toten hundes vermischt.
    am nächsten tag wird öffentlich verlesen, wer zu roberts opfern zählt: der juniorchef eines alteingesessenen textilgeschäftes; seine verletzte lebensgefährtin, angestellte in einem sportstudio; der hausmeister eines gymnasiums; ein schwerverletzter student der jurisprudenz; eine hausfrau, die für ihre ehrenamtlichen tätigkeiten weithin bekannt war; die kinokassiererin, kurz vor vollendung ihres dreißigsten dienstjahres; und die lebensgefährlich verletzte platzanweiserin, die sonst in einer go-go-bar jobbte. drei monate später wird robert während des transports vom sicherheitstrakt des gefängnisses in die psychiatrische abteilung hinterrücks erschossen. täter unbekannt; die staatsanwaltschaft ermittelt.
    als nachtrag bleibt die erwähnung, dass der fahrer des am stadtrand gelegenen lebensmittellagers, befragt, woher die große delle an der stoßstange seines lkw stamme, antwortete, das wisse er nicht; dass selbiges lager am gleichen abend von der zentrale eine unerwartet große menge reifer bananen zugewiesen bekam; und dass sich die konsumenten der stadt in den folgenden tagen mit konkurrenzlosen tiefpreisen für costaricanische bananen über den verlust ihrer mitbürger hinwegtrösten konnten.
    Usedom faltete die Blätter zusammen, legte sie auf das Armaturenbrett und betrachtete mich mit einer seltsamen Mischung aus Triumph, Ergebenheit und Furcht.
    »Und?«, murmelte er. »Was sagst du?«
    Ich sagte erst einmal gar nichts, sondern atmete tief ein und blies die Backen auf. Nach einigen Sekunden ließ ich die Luft pustend entweichen. »Glückwunsch, Robert«, meinte ich.
    »Sonst nichts?«
    »Wenn es dir darum ging, dich ins Gespräch zu bringen, kann man nur gratulieren. Perfekte PR.«
    »Und du glaubst, das wollte ich?«
    »Ich nicht. Aber der Rest der Menschheit.«
    »Klar. Jeder wird denken, ich wolle mit meiner Story Kapital aus dem Attentat schlagen. Dabei habe ich die Erzählung vor Monaten geschrieben. Sie ist ja auch schon erschienen, bis auf den Schluss.«
    »Aber gerade der ist es, der den Anschlag vorwegnimmt. Und dass er jetzt erst abgedruckt wird, wirkt natürlich zynisch. Warum hast du die Neckar-Nachrichten nicht gebeten, ein bis zwei Wochen mit der Veröffentlichung zu warten?«
    »Dann erinnert sich doch keiner mehr an die ersten Folgen. So einfach ist es nicht, Max.

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