Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
kriegen.« Unter mir schwankte es. Fuhren wir etwa los? »Bitte beeilen Sie sich, Herr Fischer. Psychologische Betreuung brauchen wir auch. Ich muss aufhören.«
    Ich legte das Handy auf einen Tisch. Wir fuhren tatsächlich. Geräuschlos und langsam. Warum auch immer.
    »Anhalten!«, rief ich in Richtung Steuerplatz, wo der Kapitän jetzt zu sehen war. »Was machen Sie denn? Es ist vorüber, hören Sie nicht?« Dann riss ich mir die Jacke vom Leib und sprang in den Fluss.
    Das Wasser war grauenhaft kalt. Allerdings spürte ich die Kälte erst mit Verzögerung. Ich war nicht bei Sinnen, dachte nur an den Ticketverkäufer. Als ich den Kopf aus dem Wasser hob, schwamm er neben mir, Gesicht nach unten. Von der Geldkassette nichts zu sehen. Ich drehte ihn auf den Rücken und versuchte, seinen Oberkörper zu stützen. Das gelang auch. Und jetzt? Wie ging es weiter? Die Kaimauer: roter Sandstein, mindestens zwei Meter hoch. Unüberwindlich. Das Wasser fasste mit all seiner Kälte nach mir, ein Schraubstock für meine Glieder. Da klagten sie immer über die Flusserwärmung durch die Kraftwerke neckaraufwärts, aber wenn es darauf ankam, war nichts davon zu spüren.
    Ich paddelte hektisch herum, tausend Gedanken fuhren mir durch den Kopf, sogar Christine kam mir kurz in den Sinn, die sich jetzt in der warmen Sonne Roms räkelte, und wo blieben eigentlich Fischers Leute? Das Solarboot war mittlerweile so weit vom Ponton entfernt, dass sich die beiden Taue, mit denen es befestigt war, bedrohlich spannten. Hoffentlich kam der Kapitän rechtzeitig zur Besinnung.
    Endlich entdeckte ich eine flache Stelle unterhalb der Alten Brücke, etwa zwanzig Meter entfernt. Dorthin musste ich kommen. Ich griff dem bewusstlosen Ticketverkäufer unter beide Achseln und zog ihn hinter mir her. Nicht eben die elegante DLRG-Methode, aber es funktionierte. Über mir machten sich die ersten Schaulustigen bemerkbar. Einer wollte sogar zu mir hinunterspringen, aber ich wehrte ihn ab. Als ich die Flachstelle erreicht hatte, war die Schar der Gaffer und Helfer auf mindestens zehn angewachsen. Sie zogen den blutenden Ticketverkäufer an Land und mich gleich hinterher. Ich krabbelte zur nächsten Sandsteinmauer und fror. Zu mehr war ich nicht fähig.
    Die Augen schließen. Den Kopf an die Steinmauer lehnen. An nichts mehr denken. Mir war alles gleich.
    Jemand rüttelte an mir. Jemand zog mir den klatschnassen Pulli über den Kopf. Ich wehrte mich nicht, half aber auch nicht mit. Das Unterhemd wurde mir ausgezogen, Schuhe und Strümpfe ebenso. Ich bekam eine Jacke umgelegt, eine zweite und dann noch eine. Nur meine Hose trug ich noch. Ich musste lachen, als ich an die klammen Hosenbeine von vorhin dachte. Was hätte ich jetzt für eine klamme Hose gegeben!
    »Hat wohl Spaß gemacht, die kleine Schwimmeinlage?«, hörte ich jemanden sagen.
    Ich öffnete die Augen.
    Vor mir stand der Rottweiler und grinste. Es war ein herausforderndes Grinsen, aber es kaschierte nur seine Unsicherheit. Er wusste nicht, wie er mich behandeln sollte: als Ärgernis wie üblich, als Opfer oder als Lebensretter. Oder als der Schuldige an dem ganzen Schlamassel.
    »Wo ist Ihr Chef?«, fragte ich.
    »Im Anmarsch. Muss jede Sekunde hier sein.«
    »Und der Killer? Haben Sie ihn erwischt?«
    »Machen Sie Witze? Wir haben keine Beschreibung von dem Mann, wissen nicht, wohin er geflüchtet ist. Wir haben hier nur verstörte Passanten, einen Toten und einen Verletzten.«
    Ich zuckte die Achseln. Natürlich, sie waren zu spät gekommen. Greiner und Sorgwitz kamen immer zu spät. Und es war nicht einmal ihre Schuld.
    Eine Sirene näherte sich aus Westen. »Das wird der Krankenwagen sein«, meinte Greiner. »Sie werden gleich behandelt.«
    »Ich brauche bloß trockene Sachen. Die sollen nach dem Ticketverkäufer schauen.«
    Er trollte sich.
    Die folgende Viertelstunde erlebte ich wie unter einem Schleier. Ganz allmählich wich das Adrenalin aus meinem Körper, ich begann zu zittern. Das Flachstück am Neckar wurde bis zum letzten Meter zugeparkt. Gestützt von zwei Sanis, kletterte ich in einen Krankenwagen, nahm auf einer Trage Platz, wurde versorgt und bemuttert. Gegen die Infusion, die sie mir legen wollten, wehrte ich mich erfolgreich. Irgendein schlauer Mensch brachte mir gesüßten heißen Tee vom Dönerladen in der Steingasse; das war alles, was ich brauchte. Die Jacken wurden durch Laken und Decken ersetzt, und als ich erst einmal keine nassen Sachen mehr anhatte, fühlte ich mich

Weitere Kostenlose Bücher