Alvion - Vorzeichen (German Edition)
würde alleine lernen müssen, damit zu leben. Das einzig Gute, was ich ihm entgegenhalten konnte, war, dass er es überlebt hatte, und dass er diese schlimme Erfahrung für eine ehrenvolle Sache gemacht und sich dabei gut geschlagen hatte. Die letzten zwei Tage hatte er bei seiner geliebten Eyla verbracht, über die ich vielleicht doch eine falsche Vorstellung gehabt hatte, denn, laut seinen spärlichen Worten, hatte sie sich rührend um ihn gekümmert, während er zumeist von ihrem Bett aus die Decke angestarrt hatte. Schließlich packte ich ihn an den Schultern und schleifte ihn mit mir in die nächste Schenke. Es war an der Zeit für mehr als nur einem Becher Wein, sicher sogar auch den ein oder anderen zu viel.
Etwas später saßen wir im ’Goldenen Stier’ einem ganz normalen Gasthaus, wie es sie allein in Perlia zu Dutzenden gab. Die Tische und Stühle hatten schon bessere Zeiten gesehen, wie auch der Boden aus Holzdielen. Die Wände bestanden aus kahlem Stein, nur gelegentlich war eine Fackelhalterung eingelassen. Der Wirt war ein kleiner, untersetzter älterer Mann mit mürrischem Gesicht, der den Krug Wein und zwei tönerne Becher vor uns auf den Tisch stellte und, ohne ein Wort zu sagen, wieder verschwand. Ich ergriff den Krug und schenkte uns ein, während Olk einen Punkt irgendwo hinter mir anstarrte. Er nahm seinen Becher zur Hand, trank schweigend einen Schluck und starrte weiter ins Leere. Ohne mich direkt anzublicken, fragte er schließlich:
„ Wie war es bei dir, Alvion?“
„ Was meinst du, Olk?“
„ Dein erster Kampf. Du scheinst das alles viel leichter zu nehmen als ich.“ Jetzt wusste ich, worauf er hinauswollte.
„ Olk, das kann man nicht vergleichen! Meinen ersten richtigen Kampf auf Leben und Tod habe ich in Westsolien kämpfen müssen. Es war keine Schlacht und kein Ruhm war mir in Aussicht gestellt worden. Ich kämpfte für eine Händlerkarawane gegen Straßenräuber. Sie kamen am späten Abend, als das Feuer nur noch schwach leuchtete. Wir waren eine Gruppe von zehn Kämpfern und die Wache war aufmerksam, sodass ihr Plan, uns zu überfallen und umzubringen, scheiterte. Sie waren erbärmliche Schwertkämpfer und übles Gesindel. Trotzdem, während des Kampfes hatte ich einen von ihnen erwischt und ihm mein Schwert in den Bauch gestoßen. Ich sehe heute noch manchmal seine Augen im Traum vor mir, mit diesem überraschten, anklagenden Blick darin.“
„ Aber wie wirst du damit fertig, Alvion?“, unterbrach mich Olk und blickte mir diesmal ins Gesicht. „Ich kann diesen Alptraum, dieses Gemetzel nicht vergessen, Alvion! Die Angst, die Schmerzensschreie, das Blut, das Töten.“
„ Du wirst lernen, damit zu leben, Olk! Die Erinnerung daran wird verblassen und du musst dir immer vor Augen halten, dass du keine andere Wahl hattest und deine Heimat verteidigt hast. Wen auch immer du in der Schlacht getötet hast, Olk, der hätte umgekehrt auch dich getötet! Du hast eine schlimme Erfahrung gemacht, mein Freund, das weiß ich. Merke sie dir, laufe nicht davor davon, dann wirst du hoffentlich damit leben können! Es gibt Augenblicke in unser aller Leben, da haben wir keine andere Wahl und glaube mir: Du hattest keine andere Wahl!“
Ich sah in Olks Gesicht, dass meine Worte wirkten, auch wenn es noch dauern würde, bis er so weit abschließen konnte, dass er damit zurechtkam. Den Rest des Abends betranken wir uns die meiste Zeit schweigend und kehrten schließlich unsicheren Schritts in die Kaserne zurück. Ich schlief bereits, bevor ich das Kissen meines Lagers mit dem Kopf berührte.
Am nächsten Morgen erwachte ich davon, dass mich jemand an der Schulter rüttelte und mich immer wieder ansprach.
„ Sire, wacht auf!“
Ich brummte unwirsch und drehte mich weg, doch der andere ließ nicht locker, bis ich schließlich einigermaßen wach war. Sofort spürte ich den Wein des Vorabends in meinem Schädel und es fühlte sich an, als hätte mir jemand eine Keule darüber geschlagen.
„ Sire, wacht auf, der Befehlshaber wünscht euch zu sehen. Ich habe Befehl, euch zu ihm zu bringen. “
Es war ein junger Soldat, der unablässig an mir rüttelte, sodass ich schließlich doch so weit wach wurde, um mir zu überlegen, ihn am Kragen zu packen und zum Verschwinden aufzufordern. Natürlich verwarf ich diesen Gedanken gleich wieder, denn er konnte wahrhaftig nichts dafür, dass ich am Vorabend zu viel getrunken hatte. Ein Blick durch meine noch halb geschlossenen Lider nach draußen
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