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Alvion - Vorzeichen (German Edition)

Alvion - Vorzeichen (German Edition)

Titel: Alvion - Vorzeichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Thiering
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würde.
    Lanceas Schiff benötigte nicht lange für die kurze Strecke von Dalia zur solischen Küste, sodass ich einige Tage später mitten in der Nacht an einem vermeintlich unbewohnten Küstenabschnitt östlich von Ulyssa an Land gerudert wurde. Der Abschied von Lancea hatte aus einem einfachen Lebewohl bestanden und einige Minuten später wurde ich bereits an Land gesetzt. Dort erwarteten mich einige Männer, die wohl des Öfteren mit den Piraten zusammenarbeiteten und irgendwie, vielleicht durch Leuchtzeichen, zuvor verständigt worden waren. Einer der Seemänner, die mich an Land gerudert hatten, übergab dem Anführer dieser Gruppe einen Brief Lanceas und wechselte einige Worte mit ihm, ehe sie mich in der Obhut dieser Männer zurückließen. Keiner von ihnen sprach ein Wort mit mir, während ich ihnen in ein nahe gelegenes Dorf folgte, wo ich nur die Nacht verbrachte. Bereits am nächsten Tag setzte mich ein ebenso stummer Mann auf ein Pferd und begleitete mich nach Ulyssa, wo ich kaum Zeit hatte, einen Eindruck von der Stadt zu gewinnen, denn ohne Umwege brachte er mich in ein Waisenhaus, wo ich für die nächsten drei Jahre meines Lebens bleiben würde. Es war keine besonders glückliche Zeit aber immerhin wesentlich besser, als in der Sklaverei zu schuften. Aber Freunde gewann ich dort keine, weil ich auch keinerlei Bemühungen unternahm, mir welche zu schaffen. Nach diversen Raufereien hatte ich mir zumindest so viel Respekt verschafft, dass mich die anderen in Ruhe ließen, weil ich unter Beweis gestellt hatte, dass ich auch mehreren Angreifern schwer zu schaffen machen konnte. Nach meiner Geschichte befragt, erzählte ich der Hüterin des Hauses, dass ich auf Alatyra geboren und als Schiffsjunge bisher unter Piraten aufgewachsen war. Vor einigen Tagen hätte ich dann beim Anblick der solischen Küste den Mut gefasst über Bord zu springen, da ich die ständigen Prügel und die elende Schufterei leid gewesen war. Als Beleg zeigte ich ihr die frischen Striemen der Peitsche auf meinem Rücken, was die gutmütige, ältliche Frau zutiefst entsetzte, aber auch überzeugte, dass ich die Wahrheit sprach, sodass sie mir glaubte, dass jener Mann, der mich stumm abgeliefert hatte, derjenige gewesen war, der mich am Strand gefunden hatte. Natürlich hätte ich auch ihr die wahre Geschichte erzählen können, doch ich war in einem fremden Land, hatte meine Familie und meine Heimat verloren und entsetzliche Dinge miterleben müssen, daher vertraute ich niemandem mehr und war fest entschlossen, meine wahre Herkunft zu verbergen, was ich bis zum heutigen Tag auch getan habe.
    Als ich fünfzehn Jahre alt geworden war, hatte ich die Nase von den umfassenden Regeln und dem eintönigen Leben im Waisenhaus voll, und riss eines Nachts einfach aus. Der Drang nach Freiheit war in mir so übermächtig geworden, dass ich diesem jetzt nachgab. In den folgenden Jahren kam ich viel herum: Ich reiste mit Handelskarawanen durch das Land und ging den Händlern zur Hand, ich arbeitete als Landarbeiter auf Bauernhöfen, sogar in den Minen der Kupfer- und Gatorberge verdiente ich mir meinen Lebensunterhalt, und schließlich heuerte ich auch noch auf einem Schiff an und gelangte so bereits einmal nach Kragien hinüber. Zugute kam mir, dass ich mit fünfzehn Jahren bereits groß und kräftig genug war, um für älter zu gelten, was mir allerlei unangenehme Fragen ersparte. In jener Zeit entwickelte ich die Fertigkeit, in Menschenmengen auf Marktplätzen, unbemerkt Geldbeutel zu entwenden. Jedenfalls kam ich immer irgendwie durchs Leben und musste nur selten hungern. Allerdings kam ich nie zur Ruhe, bis heute ist mir dies auch nicht gelungen. Lange konnte ich es mir nicht erklären, bis mir irgendwann einmal bewusst wurde, was ich in jedem Moment so vergeblich suchte: Alyra, die Heimat, die ich für immer verloren hatte. So, wie es jedem Einzelnen meines Volkes früher erging, wenn er von seiner Heimat allzu lang getrennt war, so geht es mir noch heute. Immer noch zieht es mich nach Hause, dorthin, wo ich zufrieden und unbeschwert gelebt hatte, dorthin, wo alles gut gewesen war.
    Als ich dann achtzehn Jahre alt geworden war, beging ich einen folgenschweren, im Rückblick aber hilfreichen Fehler: Ich wurde in Ulyssa nach dem Diebstahl eines Beutels von einer Patrouille gefasst, festgenommen und zum Befehlshaber der Garnison gebracht. Die Aussicht auf das Gefängnis schreckte mich nicht besonders, denn man konnte mich nicht ewig für einen

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