Alvion - Vorzeichen (German Edition)
verdammt, in alle Ewigkeit auf dem dunklen Fluss umherzuirren und die Ufer Chioras zu suchen.
Der Großteil der Argion lebte in den Ebenen des Landes, wo auch die uralte Hauptstadt Argions, Theban, lag. Ringförmig um die Zentralebene herum lagen dichte Wälder, in denen ebenfalls viele Argion beheimatet waren. Obwohl sie sich in der Lebensweise stark von den Argion in den Ebenen unterschieden, herrschte dennoch ein bedingungsloser Zusammenhalt im gesamten Volk. Schon durch die natürlichen Grenzen blieben die Argion zumeist unter sich und galten in Solien seit jeher als Sonderlinge. Früher einmal waren sie ein ausgesprochen kriegerisches Volk gewesen, das sogar einige Jahrhunderte lang über ganz Septrion geherrscht hatte. Doch nach ewig langen, vor allem für die Argion verheerenden Befreiungskriegen, hatten sie sich auf ihre Stammlande beschränkt und sich im Laufe der Zeit gewandelt. Ihre Eroberungsgelüste hatten sie abgelegt und waren ein friedliches und rechtschaffenes Volk geworden, durchaus eine angenehme Gesellschaft, wenn man sie nicht herablassend behandelte und ihren Stolz verletzte. Denn wenn dies geschah, erwachte in den Argion die alte Kampfeslust. Was sie nicht abgelegt hatten, war der unversöhnliche Hass auf das argion’sche Brudervolk der Kragier, gegen das sie dutzende blutige Kriege geführt hatten. Aus irgendeinem, längst vergessenen Grund, hatten sich einst die führenden Häuser Argions - Argon und Krag - heillos zerstritten, was zu einem Bürgerkrieg und, nach deren Niederlage, zum Auszug der Anhänger des Hauses Krag nach Meridia geführt hatte. Seit damals nannte man die große, in den Sapor hineinragende meridianische Halbinsel, Kragien.
Wir hatten ein paar Tage zuvor einmal das Thema Kragien gestreift, und schon während das Wort fiel, war mit Tian eine Veränderung vorgegangen: Seine Augen hatten einen kalten, harten Ausdruck angenommen und durch die zusammengebissenen Zähne hatte er einige Verwünschungen in seiner Muttersprache ausgestoßen. Er war ein Argion durch und durch, wenn auch die Abenteuerlust, die ihm zu eigen war, nicht mehr so recht zu den Argion passte, da sie bereits vor Jahrhunderten den Eroberungen abgeschworen und sich zurückgezogen hatten, um in Frieden zu leben.
So ähnlich war es ja auch mit uns Lyranern gewesen. Zwar hatten Lyraner und Argion niemals enge Kontakte gepflegt, aber genau wie ich, war auch Tian Lux in den Ländern Soliens ein Einzelgänger, zudem er auch noch einen völlig anderen Lebenswandel pflegte, als die übrigen Mitglieder seines Volkes. Dennoch sah er aus, wie man sich gewöhnlich einen echten Argion vorstellte, groß gewachsen, von leicht hagerer Gestalt, eine sanft bläulich schimmernde Hautfarbe, braune Augen, die listig und wach schienen, und ein markantes Gesicht, das von langen schwarzen Locken umrahmt wurde. Da er lange Zeit in den Wäldern seiner Heimat gelebt hatte, war er natürlich ein hervorragender Jäger und bedingt dadurch ein zielsicherer Bogenschütze, der sich in Wäldern genau so sicher und lautlos bewegte, wie das dort ansässige Wild.
Mein Äußeres stand im Gegensatz zu ihm, denn obwohl auch ich nicht klein zu nennen bin, erreichte ich seine Größe nicht ganz, allerdings war ich kräftiger als er, wenn auch ebenfalls von schlanker Gestalt. Ansonsten gab es keinerlei Ähnlichkeiten, denn meine Haut hatte den milden Bronzeton der südlichen Sonne und meine kurzen Haare waren braun, außerdem umrahmte ein kurz geschnittener Bart mein Gesicht. Anders als ich, hatte Tian zumindest noch seinen Vater und einen Bruder, zu denen er, trotzdem er sie selten sah, ein enges Verhältnis hatte. Seine Mutter war bei der Geburt seines Bruders Lukian gestorben, als Tian zwei Jahre alt gewesen war und seitdem hatte sie der Vater alleine aufgezogen. Die Familie war eine einfache Bauernfamilie und Tian als Älterer hätte eigentlich seinem Vater nachfolgen sollen, doch sein Vater war weise genug, seinen Sohn nicht zu zwingen, Bauer zu werden, sondern schickte ihn aus, sein Glück zu suchen. So war Tian Lux vor Jahren in die Wälder gegangen und hatte längere Zeit mit den dort ansässigen Argion gelebt und von ihnen gelernt, bis es ihn irgendwann in die Welt hinausgezogen hatte. Seine Augen schienen zu leuchten, wenn er von den fernen Orten sprach, die er in seinem Leben noch erreichen wollte, genauso aber leuchteten sie, wenn er in den schönsten Farben seine Heimat beschrieb, denn nur, weil er den Großteil der vergangenen Jahre
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