Alvion - Vorzeichen (German Edition)
Diebstahl einsperren und das schien jener Offizier auch zu merken, denn er dachte sich etwas ganz Besonderes für mich aus! Gegen meinen Willen steckte er mich in die Armee, um mir, so sagte er es wörtlich, Disziplin, Ehrlichkeit und Ordentlichkeit beizubringen. Und es ist kein Gerücht, dass Garnisonsgebäude gut bewacht werden, denn jeder meiner Fluchtversuche wurde vereitelt und zog immer ein ganzes Bündel an Strafarbeiten nach sich. Schließlich gab ich meinen Widerstand auf, fügte mich in die dort bestehende Ordnung ein und erlernte das Soldatenhandwerk. Obwohl es Monate der Schinderei waren, in denen ich oft niedergebrüllt wurde, war es eine lehrreiche Erfahrung, die ich dort machte und das erste Mal in meinem neuen Leben schloss ich auch einige lose Freundschaften, denn alle jungen Soldaten können Bosheiten und Schindereien nur ertragen, wenn sie bedingungslos zusammenhalten. Irgendwann bekam der Offizier mehr zufällig mit, dass ich Lesen und Schreiben konnte, was im Gegensatz zu Alyra, in Solien für einfache Leute längst nicht üblich war, und so sorgte er dafür, dass mein Dienst verlängert wurde. Ich verbrachte weitere Monate auf der militärischen Akademie bei Vylaan und wurde dort zum Offizier ausgebildet. Mehr als ein Jahr lang hatten sie mich in eine Uniform gezwängt, ehe ihnen die Gründe ausgingen, mich weiter festzuhalten. Nun war ich fast zwanzig Jahre alt, aus dem Soldatendienst entlassen und wieder auf mich allein gestellt. Seit jenem Tag, an dem ich als freier Mann durch das Tor der Akademie von Vylaan schritt, zog ich wieder durch die Lande Septrions, das mir in seiner Gesamtheit zur zweiten Heimat geworden ist. Es war kein bestimmter Ort, den ich irgendwann Heimat nannte, es waren die weiten Ebenen, die Berge und die Wälder, die Küsten und das Meer, die Gehöfte, Dörfer und Städte, die mir halfen, die Einsamkeit und den Kummer über die verlorene Heimat besser zu ertragen. Stets jedoch blieb es so, dass mich nach einer Weile wieder die Rastlosigkeit ergriff und ich erneut durch die Welt ziehen musste, auf der Suche nach einem Ort, den ich wohl niemals wieder finden würde.
K apitel 3
„ So war es damals, Tian, jetzt weißt du, wer ich bin, woher ich komme und was wirklich geschehen ist. Bis zum heutigen Tag habe ich darüber geschwiegen!“, sagte ich leise, nachdem ich ihm die Geschichte über Alyras Untergang erzählt hatte und merkte, wie meine Augen feucht wurden. Zu lange hatte ich dieses Geheimnis für mich bewahrt und niemandem anvertraut. Seit Jahren war es meine Gewohnheit, einen gewissen Abstand zu wahren, selbst damals, als ich Soldat gewesen war, hatte ich meinen Kameraden und Freunden niemals persönliche Dinge anvertraut. Warum ich nun ausgerechnet Tian Lux nach so kurzer Zeit schon so viel Vertrauen entgegenbrachte und meine Geschichte erzählte, die ich seit elf Jahren niemandem mehr erzählt hatte, konnte ich nicht erklären, zumal ich ihn erst kurze Zeit kannte. Doch vermutlich lag es daran, dass er mir wie eine verwandte Seele erschien und als Argion in solischen Landen nachempfinden konnte, was es bedeutete, sich einsam zu fühlen. Denn auch die Argion waren von den Menschen Soliens immer schon als sehr eigentümliches Volk angesehen worden, das völlig andere Sitten und Gebräuche hatte, anderen Ursprungs war, eine andere Sprache sprach und zumeist unter sich blieb, was zum einen schon die Natur ihrer Heimat mit sich brachte und zum anderen in ihrer Geschichte begründet lag. Argion lag im Nordosten von Septrion, nach drei Seiten hin eingebettet in die östlichen Gatorberge und die Gebirge der Toten, und war im Süden durch den mächtigen Fluss Isaria von Solien getrennt. Der Osten des Landes lag jenseits des Argion abgetrennt, war von dichten Wäldern bedeckt, und sehr dünn besiedelt. Inmitten dieser Wälder lag der Totensee, ein heiliger Ort der Argion. Ihre Namen erhielten ’Totenwald’ und ’Totensee’ lange vor dem Anbeginn der Zeitrechnung, in Zeiten, von denen nur noch Legenden berichteten. Diese besagten, dass die Stammväter der heutigen Argion und Kragier, dort Tote zu verbrennen und deren Asche in den See zu streuen pflegten. Der See gilt nicht nur den Argion seit Ewigkeiten als Ursprung des dunklen Flusses, der bekanntermaßen nach dem Tod überquert wurde, um nach Chiora, der nächsten Welt, zu gelangen. Natürlich nur, sofern man sich während seines Lebens die Überfahrt dorthin verdient hatte. Ansonsten war man von den Göttern dazu
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