Alvion - Vorzeichen (German Edition)
dort machten wir uns schließlich wieder auf den Weg nach Zentralsolien, dem reichsten Teil Soliens, erreichten wieder die beeindruckende Hauptstadt Vylaan und die gewaltigen Mauern des Ennos, und gelangten schließlich nach Kelmar, dem zweiten großen Kriegshafen Soliens nach Bilonia. Man sah der Stadt genau an, dass sie nur aus diesem Grund gegründet worden war, denn sie war schmutzig und lärmend, und ohne jede Schönheit. Genauso wie in Bilonia gab es das üble Hafenviertel, dessen Betreten man sich besser vorher überlegte, aber, während Bilonia abseits davon durchaus eine schöne Stadt war, war Kelmar insgesamt ein hässlicher Moloch, wo es nur so vor Gesindel wimmelte. Dort waren wir nahe an geheimnisvollen Orten, die jeden von uns lockten und doch noch keiner gesehen hatte. Jenseits der Isaria lagen gegenüber von Kelmar die mystischen Totenwälder und in ihrer Mitte der Totensee, unbesiedeltes Gebiet und vielleicht gerade deswegen verlockend. Die gewaltigen Totenberge begrenzten sie, nördlich davon lagen steinerne und eisige Wüsten, unwirtlich und tödlich kalt. Jenseits des Golfs von Argion gab es noch einen Landstrich, die Ebene der Toten, deren Betreten seit Anbeginn der Zeit verboten war, wie die im Sapor gelegene mystische Insel Or. Trotzdem reizte es mich, einmal selbst dorthin zu gelangen, ebenso wie ich einmal vor der großen Barriere stehen wollte, dem höchsten Gebirge Velias, welches die Landgrenze zwischen Septrion und Meridia bildete. Die wenigen, die einmal dorthin gelangt waren, hatten Berichte von einer riesigen Wand aus steilsten Felsen, die wohl über zehn Meilen hoch in den Himmel ragte, hinterlassen. Eine alte Legende besagte, Ennos selbst habe schon in längst vergangener Zeit über den ständigen Streitereien zwischen Septrion und Meridia die Geduld verloren und diese natürliche Barriere errichtet, um die Streithähne voneinander zu trennen. In Kelmar fassten wir den Entschluss, irgendwann einmal aufzubrechen und jene mystischen und abgelegenen Orte zu erkunden. Der weitere Weg führte uns zurück nach Vylaan, wohin mich Tian freundlicherweise noch begleitete. Dort trennten sich am Ende eines schönen Sommers vorerst unsere Wege. In vielen zurückliegenden Monaten des Reisens hatten wir fröhliche Feste gefeiert, uns betrunken und uns mit den braven wie den unartigen Mädchen der Händler, Handwerker, Bauern und Gelehrten vergnügt, im Schwertkampf gemessen, Karten und Bücher von Ländern betrachtet, die wir noch sehen wollten, und waren mittlerweile wie Brüder geworden. Dennoch wollte Tian über den Winter nach Argion zu seiner Familie zurückkehren, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, mir dagegen stand der Sinn nach der südlichen Sonne, unter der ich aufgewachsen war. Es war bereits im Geras, also kurz vor dem Herbstanfang, als ich in Richtung Süden und Tian zunächst Richtung Osten aufbrach. Wir vereinbarten, uns zum Sommeranfang wieder in Vylaan zu treffen, und zwar in der Herberge ’Velia’ in der Nähe des königlichen Palastes, in der wir nun schon öfter gewohnt hatten.
Als ich Tian nachblickte, ahnte ich noch nicht, dass weit mehr Zeit vergehen würde, bis wir uns wieder treffen sollten. Ich lenkte mein Pferd auf die abzweigende Straße nach Perlia und gab ihm einen leichten Stupser mit den Absätzen meiner Stiefel. Wenn keine größeren Schwierigkeiten auftraten und ich nicht das Opfer von Straßenräubern wurde, würde ich einige Wochen bis nach Bilonia brauchen. Ich war fest entschlossen, mir dort den Winter über viel Ruhe zu gönnen, denn es würde umso schöner sein, im Frühling wieder voller Tatendrang aufzubrechen.
Zweiter Teil
DER STURM BEGINNT
Kapitel 4
Um den zehnten Tag des ersten Sommermonats Milvis, im einundzwanzigsten Jahr der Herrschaft von König Melior, erreichte ein berittener Trupp Soldaten eines Abends völlig erschöpft Vylaan, die Hauptstadt des vereinten Solien. In höchster Eile lenkten die Reiter ihre Pferde durch die belebten Straßen der Stadt, ohne einen Blick für die prächtigen Bauwerke zu haben, bis sie die königliche Palastanlage erreicht hatten.
Auch die Landschaften Soliens, die sie in den letzten Tagen meist im Galopp durchquerten, hatten sie kaum wahrgenommen.
Nahezu jeden Tag waren sie an die fünfzehn Stunden im Sattel gesessen, nur unterbrochen durch kurze Rasten oder einige Stunden Schlaf, ehe sie mit frischen Pferden wieder aufbrachen. Die Botschaft, die sie mit sich führten, war
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