Alvion - Vorzeichen (German Edition)
dessen Existenz nichts wusste und überhaupt bis hierher gelangt war.
Nach zwanzig Stufen erreichte Zelio das Ende der Treppe und betrat einen schmalen Gang, der ins Archiv führte. Die Wände waren grob und unbearbeitet und etwa alle fünf Schritt von einem Fackelpaar rechts und links beleuchtet. Am Ende des Ganges lag ein Raum im hellen Fackelschein: das Archiv!
Der Raum war nicht sonderlich groß, vielleicht zwanzig mal zwanzig Schritt und sehr niedrig. An den Wänden standen uralte, staubige Holzregale, die, in Zelios Augen, den größten und wertvollsten Schatz Velias enthielten, nämlich das gesamte Wissen des Ordens vom Seelenwald, sorgfältig in großen Büchern niedergeschrieben. In der Mitte des Raumes stand ein einfacher Holztisch mit einem kleinen Hocker davor. Auf dem Tisch lag aufgeschlagen einer der großen Bände aus den Regalen, rechts und links daneben große Kerzen, die an ihrem unteren Ende durch unförmige Wachsklumpen mit dem Tisch verwachsen waren. Auf diesem Schemel hatte Zelio in den letzten Jahren, seit er Salina aus ihrer Lehre entlassen hatte, mindestens die Hälfte seiner Tage verbracht. Die andere Hälfte hatte er entweder zum Schlafen genutzt oder er war im Wald spazieren gegangen, wenn er merkte, dass das erdrückende Gefühl, unter der Erde zu sein, ihn glauben machte, jeden Moment zerquetscht zu werden. Endlose Tage und Nächte hatte er seitdem bereits damit zugebracht, in den Büchern zumindest nach Ansätzen zu suchen, was zu tun war, um das durch Molaar zerstörte magische Gleichgewicht der Sphären wiederherzustellen, oder zumindest herauszufinden, wen und auf welche Art er darüber befragen konnte. Selbst dem kleinsten Hinweis war er nachgegangen und allmählich schien sich die lange Arbeit auszuzahlen, denn er glaubte, zumindest auf der richtigen Spur zu sein. Doch er wusste, dass ihm nicht mehr unbegrenzt Zeit zur Verfügung stand. Eigentlich hatte er sich auch nicht gestatten wollen, dem Archiv länger als zwei Tage fernzubleiben, doch der vergangene Abend am Ufer des Seelensees, mit einem kleinen Feuer unter den Sternen, war so angenehm gewesen, dass er es nicht über sich gebracht hatte, zurückzukehren sondern dort die Nacht verbracht hatte. Nun galt es für Zelio, sich wieder dem Studium zuzuwenden und dem Rätsel schnell auf die Spur zu kommen, ehe es zu spät war. Mit einem lauten Seufzer ließ er sich auf dem Schemel vor dem Tisch nieder und begann, wieder in dem großen Buch zu lesen. Es dauerte nur Augenblicke, dann war er in tiefster Konzentration versunken.
Es erschien ihm wie Stunden später, als er den Klang einer wohlbekannten, von Verzweiflung erfüllten Stimme vernahm und aus seiner Konzentration aufschreckte.
„ Meister Zelio, könnt Ihr mich hören?“
Salinas Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihm, so als würde sie draußen vor dem Eingang stehen und nach ihm rufen. Das war natürlich unmöglich, und Zelio wusste auch, woher ihre Stimme kam und ging auf deren Ursprung zu. Er trat durch einen Durchgang auf der rechten Seite des Raumes und durchquerte die kleine, karge Kammer, wo sich nur seine Schlafstätte befand und öffnete eine weitere Türe in diesem Raum. Dahinter lag die Quelle der Seelen, jener Raum, von dem aus der Hüter des Archivs die Geschicke Velias beobachten konnte. Anders als das Archiv oder die Kammer, war dieser Raum mit bearbeiteten Steinplatten ausgelegt. In den vier Ecken entzündeten sich durch einen kurzen Wink Zelios, sofort vier große Fackeln und erzeugten eine geisterhafte Atmosphäre durch die tanzenden Schatten auf den dunklen Wänden. In der Mitte des Raumes befand sich ein Becken aus schwarzem Marmor, das auf einem, zum Boden hin, schmaler werdenden Sockel ruhte. In diesem Becken befand sich eine schwarze, undurchsichtige Flüssigkeit mit einer spiegelglatten Oberfläche. Zelio blieb direkt vor dem Becken stehen, breitete seine Arme aus und sprach mit lauter Stimme jene Worte, die die Verbindung zu Salina herstellen würden.
Einem normalen Sterblichen hätten sie nichts genutzt, denn es kam nicht nur auf die Worte an, die beim Öffnen des Tores von Nöten waren, sondern auch auf die magische Aura des Beschwörenden und die Führung dieser Aura wie einen Schlüssel, den man in ein bestimmtes Schlüsselloch zu stecken hatte. Erst wenn man sich dieser Vorgänge bewusst war und seine magischen Kräfte kontrollieren konnte, war es möglich, diesen Vorgang durchzuführen. Zelio wusste natürlich, wie er seine Kräfte zu
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