Am Abend des Mordes - Roman
hatte sie schon einmal einen Typen ermordet und zerstückelt, was zum Teufel sollten wir denn glauben?«
»Wie genau haben Sie sich die alte Ermittlung angesehen?«, erkundigte sich Barbarotti. »Den Mord, für den sie verurteilt wurde?«
»Nicht besonders eingehend«, bekannte Gunvaldsson. »Soweit ich weiß, war es ein glasklarer Fall. Geständnis, Indizien und der ganze Kladderadatsch.«
»Was die Indizien angeht, bin ich mir da nicht so sicher«, entgegnete Barbarotti. »Aber gut, in gewisser Weise war die Sache wohl wirklich glasklar.«
»Und genau das war das Problem beim Fall Morinder«, stellte Gunvaldsson fest und zog die Nase hoch. »Diesmal schien es doch genauso glasklar zu sein. Der einzige Unterschied bestand im Grunde nur darin, dass sie kein Geständnis ablegte. Und natürlich darin, dass die Leiche fehlte.«
»Ein ziemlich großer Unterschied.«
»Zugegeben«, sagte Gunvaldsson.
Barbarotti dachte einen Moment nach. »Mir kommt es trotzdem so vor, als hätten Sie Ihre Meinung in der Zwischenzeit geändert«, sagte er. »Oder irre ich mich?«
Gunvaldsson klang, als würde er mit den Schultern zucken. »Was heißt geändert«, sagte er. »Das liegt bestimmt nur daran, dass man einfach unsicher wird. Wenn man denkt, dass man von Anfang an die Antwort kennt und die Sache dann nicht aufgeht … na ja, ist doch klar, dass einem da Zweifel kommen.«
»Soll vorkommen«, bestätigte Barbarotti. »Aber Sie hatten nie einen Verdacht, der in eine andere Richtung ging?«
»Sie meinen einen anderen Täter?«, fragte Gunvaldsson.
»Zum Beispiel.«
»Ehrlich gesagt, nein«, antwortete Gunvaldsson nach kurzer Pause. »Er war ein ziemlich einsamer Vogel, dieser Morinder. Es gab so gut wie keine Bekannten, und an diesen Bjarne haben wir nie wirklich geglaubt. Und seine erste Frau hatte er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen, behauptete sie. Wen sollte man da verdächtigen? Er hatte weder Freunde noch Feinde.«
»Raubmord?«, schlug Barbarotti vor.
»Möglich«, meinte Gunvaldsson. »Er soll fast hundert Mäuse in der Tasche gehabt haben.«
»Und dann fuhr der Räuber mit dem Moped weg, bis ihm das Benzin ausging?«
»Das hätte länger gereicht. Der Tank war fast voll, er hatte ja gerade erst getankt.«
»Ach ja, stimmt«, sagte Barbarotti. »Ja, entschuldigen Sie, dass ich nachhake, aber als Sie mit Ellen Bjarnebo geredet haben, was hat Ihr Bauchgefühl Ihnen da gesagt? Haben Sie geglaubt, dass sie es war?«
Gunvaldsson dachte wieder eine Weile nach. »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte er. »Am Anfang auf alle Fälle. Aber sie blieb bei ihrer Geschichte, und was sollte man da machen?«
»Keine sonderlich komplizierte Geschichte, an der sie da festhielt?«
»Stimmt. Er nahm das Moped, um zur Tankstelle zu fahren, und kam nie zurück. Das könnte sich ein Fünfjähriger merken. Aber wenn wir über eine Leiche gestolpert wären, hätte die Sache natürlich ganz anders ausgesehen.«
»Klar«, sagte Barbarotti. »Übrigens habe ich da etwas über einen Streit in einem Restaurant gelesen.«
Gunvaldsson seufzte wieder. »Sie hat uns nie erzählt, worum es dabei ging. Meinte nur, das sei privat und habe mit der Sache nichts zu tun.«
»Und damit haben Sie sich zufrieden gegeben?«
»Wenn man dreißig Mal die gleiche Antwort bekommt, gibt man sich irgendwann mit ihr zufrieden.«
Barbarotti erklärte, dass er dies genauso sehen würde, bat darum, wieder anrufen zu dürfen, falls noch Fragen auftauchen sollten, und wünschte Gunvaldsson gute Besserung für seine Allergie.
»Tod allen verdammten Pollen«, sagte Inspektor Gunvaldsson. »Na dann, wie gesagt, viel Glück. Und melden Sie sich, wenn etwas ist.«
Barbarotti versprach, dies zu tun, und legte auf.
18
R önn hatte kurz unter dem rechten Ohr ein Pflaster auf dem Hals.
»Meine Katze«, erläuterte er, als Barbarotti ihn danach fragte, aber etwas in seinem Ton verriet, dass es andere denkbare Erklärungen gab.
Zumindest eine. Barbarotti überlegte, warum sein trauerndes Gehirn solche Gedanken und Albernheiten gebar. Oder lag die Antwort darauf genau in diesem Punkt? Stürzte er sich auf alles Mögliche, was seine Sinne aufschnappten, gerade weil er in Trauer war? Wallman-Braun. Ein hoffnungsloser alter Mordfall. Das Pflaster am Hals eines sechzigjährigen Trauertherapeuten.
Obwohl der Mord natürlich nichts mit seinem eigenen Schiffbruch zu tun hatte. Das andere vielleicht auch nicht.
»Das sagen sie immer«, kommentierte er und schlug
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