Am Abend des Mordes - Roman
ich mir das ein. Aber ich war ja nur ein Kind. Meine Mutter hat sich übrigens von mir distanziert … tja, wie soll man es nennen? Sie hat offiziell mit mir gebrochen?«
Sie lachte auf und fuhr fort: »Es geht um meine sexuellen Neigungen. Ich wohne mit einer Frau zusammen, das war zu viel für sie. Ich glaube übrigens, dass Tomas und Erik in dieser Frage ähnlich fortschrittlich denken wie sie.«
»Wie kommt es, dass Sie Berglund heißen?«, fiel Barbarotti ein.
»Ich war mir dieser Neigungen früher nicht bewusst«, erläuterte Inger Berglund und zuckte mit den Schultern. »Zwei Jahre war ich mit einem Typen namens Berglund verheiratet, der arme Kerl, es funktionierte natürlich nicht. Und da meine Lebensgefährtin Lundberg heißt, fanden wir das ein bisschen lustig. Berglund und Lundberg. Irgendwie verkehrte Welt.«
Sie lachte erneut. »Tja, und nun habe ich Ihnen von diesem alten Elend erzählt. Keine Ahnung, ob Sie das weiterbringt, aber ich muss Sie jetzt einfach fragen, warum Sie sich überhaupt mit mir in Verbindung gesetzt haben? Es geht um diesen späteren Fall, der niemals aufgeklärt wurde?«
Barbarotti seufzte.
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete er. »Aber liege ich richtig, wenn ich das Gefühl habe, dass Sie … dass Sie in Bezug auf den Mord an Harry Helgesson etwas andeuten?«
Ihr Blick folgte einem Segelboot, das nur zwanzig, dreißig Meter unterhalb vorüberglitt. Barbarotti betrachtete dasselbe Wasserfahrzeug und wartete.
»Nein«, erwiderte sie schließlich. »Im Grunde tue ich das wohl eher nicht. Es gab einfach nur so viel, was nie ans Licht kam. Als die ersten Teile von ihm gefunden wurden, war alles irgendwie auf einen Schlag klar. Sie gestand sofort. Und dann … tja, dann wurde sie natürlich wieder verdächtigt. Stimmt’s?«
»Allerdings«, sagte Barbarotti. »So ist es gewesen.«
»Wann war das?«
»Vor ungefähr fünf Jahren.«
»Aber sie war es nicht?«
»Jedenfalls ließ sich ihr nichts nachweisen.«
»Wie war das noch, die Leiche wurde nie gefunden? Beim zweiten Mal, meine ich?«
»Ja, genau«, bestätigte Barbarotti.
»Ich habe gehört, dass man es so drehen soll«, sagte Inger Berglund, deutete ein Lächeln an, überlegte es sich dann jedoch anders. »Wenn man jemanden getötet hat, soll man dafür sorgen, dass die Leiche nie gefunden wird. Dann hat man eine weitaus größere Chance, nicht überführt zu werden.«
»Das ist sicher eine gute Faustregel«, gab Barbarotti zu und beschloss, dass es Zeit wurde, zum Ende zu kommen.
»Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben«, sagte er. »Darf ich mich wieder bei Ihnen melden, falls noch etwas sein sollte?«
»Natürlich«, antwortete Inger Berglund. »Und Sie dürfen mich gerne auf dem Laufenden halten, wenn es … also, wenn Sie etwas herausfinden.«
»Ich bin mir nicht sicher, dass ich etwas herausfinden werde«, erklärte Barbarotti.
Er fuhr mit der U-Bahn in die Innenstadt zurück. Es war erst halb eins; also blieben ihm noch vier Stunden, bis er und Sara in einem Zug nach Süden sitzen würden, und er überlegte, dass er sich ein Restaurant mit Terrasse suchen sollte, um eine Kleinigkeit zu essen. Sara wollte noch ein paar Dinge erledigen, hatte sie erklärt, so dass sie verabredet hatten, gegen vier gemeinsam in der Vikingagatan aufzubrechen.
Also würde er einen Happen essen und seine grauen Zellen ein wenig arbeiten lassen. Diese Saite, die draußen in Midsommarkransen angeschlagen worden war, vibrierte noch immer.
Eins wurde ihm jedenfalls immer klarer. Asunander hatte ihm nicht eine schlechte Polizeiermittlung in die Hände gedrückt, sondern zwei.
32
Der 3. Juni 1989
Er saß immer noch nicht auf der Couch.
Der Fernseher lief, den Geräuschen und Blautönen nach zu urteilen ein amerikanischer Polizeifilm. Sie schaltete den Apparat aus. Auf dem Tisch stand eine leere Bierdose. Sie nahm sie automatisch an sich und warf sie in der Küche in den Müll. Leerte den Aschenbecher und spülte ihn unter dem Wasserhahn aus. Wischte den Herd ab.
Gewöhnliche, ganz alltägliche Verrichtungen, aber eben doch nicht. Sie fühlte sich fast berauscht, obwohl sie keinen Tropfen getrunken hatte. Als wüsste sie nicht richtig, was sie tat; ihre Wahrnehmung hatte sich irgendwie verändert, da war etwas Neues und Fremdes. Sie erwartete, die Muti-Stimme wieder zu hören, vielleicht wurde sie durch das alles angekündigt. Oder würde in ihr deutlich werden, was sich ankündigte? Aber die Stimme
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