Am Anfang eines neuen Tages
etwas zu tun, weil sie heute nicht in der Schule sind.“
„Wie geht es Otis?“
„Er hat sich hingelegt. Ich kann ein paar Sachen erledigen, während er schläft.“
„Bitte erzähl mir, was passiert ist. Haben seine Verletzungen etwas mit dem Brand in der Schule zu tun?“
„Nein, Ma’am.“
Jo wartete und zwang Lizzie dadurch, sich zu erklären.
„Wie schon gesagt, er ist gestern Abend weggegangen, um seinen Bruder zu fragen, ob er ihm beim Pflanzen der Baumwolle helfen will. Er konnte nur im Dunkeln gehen und da haben die Nachtwachen ihn erwischt.“
„Nachtwachen? Aber –“
„Wir dürfen nachts nicht draußen herumlaufen. Danke für Ihre Hilfe, Missy Jo, aber jetzt habe ich ja Helfer.“
Vielleicht ging die ganze Angelegenheit Jo nichts an. Mischte sie sich in das Leben dieser Menschen ein, wenn sie blieb? Lizzie schien sich in ihrer Gegenwart unbehaglich zu fühlen. Josephine überlegte noch, was sie tun sollte, als sie die Glocke ihrer Mutter im Haus läuten hörte. Lizzie seufzte und wandte sich zum Gehen, aber Josephine hielt sie zurück.
„Ich werde nachsehen, was Mutter will. Ich erkläre ihr, dass … dass euer normaler Tagesablauf heute Morgen ein bisschen durcheinandergeraten ist.“ Sie eilte davon, bevor Lizzie protestieren konnte, und traf ihre Mutter im Vormittagssalon an, wo sie an ihrem Schreibtisch saß. „Kann ich dir etwas bringen, Mutter?“
„Ach, du lieber Himmel, Josephine! Sag nicht, dass du jetzt auch noch Dienstmädchen spielst, wenn ich läute.“
„Natürlich nicht, aber –“
„Wo ist Lizzie?“
„Sie muss sich um etwas … Persönliches kümmern. Ich habe angeboten, an ihrer Stelle zu kommen.“
„Seit wann interessieren uns ihre persönlichen Probleme? Sie hat ihre Arbeit zu machen.“
„Seit der Krieg vorbei ist, Mutter, und die Sklaven befreit wurden. Sie sind nicht mehr unser Besitz, mit dem wir tun und lassen können, was wir wollen.“
„Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn, Josephine.“ Eugenia schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. „Ich habe nach Lizzie geläutet, weil ich meinen Fahrer und meine Kutsche brauche. Normalerweise arrangiert Daniel das für mich, aber er ist noch nicht auf. Offenbar geht es ihm nicht gut.“
„Otis kann dich heute nicht fahren. Er ist gestern losgezogen, um weitere Arbeiter für unsere Plantage zu finden, und wurde dabei von den Männern einer Nachtwache angehalten. Sie haben ihn zusammengeschlagen, weil er nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs war – obwohl er ein freier Mann ist und jedes Recht hat, draußen herumzulaufen.“
Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über Mutters Gesicht, bevor sie sich wieder fasste. Josephine versuchte ihn zu deuten. Darin lag nicht die Wut und Empörung, die Jo empfand, sondern vielleicht ein schlechtes Gewissen? Oder Scham? Hatte Mutter irgendetwas damit zu tun? „Weißt du, wer diese nächtlichen Patrouillen organisiert, Mutter? Ist Daniel etwa einer von ihnen? Ist er deshalb nicht zum Frühstück gekommen?“ Der Gedanke, dass ihr Bruder in der Lage sein könnte, unschuldige Menschen anzugreifen oder die Schule niederzubrennen, entsetzte Jo.
Ihre Mutter hielt ihr einen warnenden Zeigefinger vors Gesicht. „Vergiss nicht, wer du bist, Josephine Weatherly, und auf wessen Seite du stehst! Unsere Männer tun, was sie tun müssen, um alle zu beschützen. Willst du, dass Banden fauler Schwarzer mitten in der Nacht in unser Haus eindringen, um sich für Jahre der Sklaverei zu rächen? Daniel könnte allein nicht mit einer solchen Horde fertig werden.“
„Aber du kennst doch Otis! Er ist nicht gefährlich. Warum sollte Daniel ihm etwas tun?“
„Das geht uns nichts an.“
Als Josephine das vorgereckte Kinn ihrer Mutter und ihre verschränkten Arme sah, wusste sie, dass es keinen Sinn hatte, ihr zu widersprechen. Ihre Mutter war nicht dazu in der Lage, sich zu ändern. Schäumend vor Wut beschloss Jo, das Problem aus einer anderen Richtung anzugehen. „Erwartest du Dr. Hunter heute? Otis braucht einen Arzt. Oder vielleicht kann ich zu Mrs Blakes Haus laufen und nachsehen, ob er dort ist.“
„Erstens wirst du nirgendwohin laufen . Und zweitens kümmert der Doktor sich um Weiße und nicht um Schwarze.“
„Otis ist dein Kutscher! Er arbeitet für uns. Warum machst du dir keine Gedanken wegen seiner Verletzungen? Warum bist du nicht wütend auf die Männer, die ihn zusammengeschlagen haben? Selbst wenn dir gleichgültig ist, wie ungerecht das alles ist,
Weitere Kostenlose Bücher