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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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war enttäuscht. Bei diesem Wetter konnten sie und die Kinder nicht auf der Terrasse arbeiten und sie fand auch keinen Grund, sich in die Küche zu schleichen und die nächste Unterrichtstunde abzuhalten. Den ganzen Tag über hatte sie nichts zu tun, außer an Alexander zu denken.
    Sie wartete bis zum nächsten Tag, bevor sie Mary die Schuhe zeigte, weil sie versuchte, sich eine Erklärung auszudenken – vergeblich. „Komm mit in unser Schlafzimmer“, sagte sie nach dem Frühstück. „Du musst dein Kleid anprobieren, damit ich den Saum abstecken kann.“ Josephine wartete, bis Mary das halb fertige Kleid zugeknöpft hatte, dann reichte sie ihr die Schuhe. „Hier, ich dachte, du könntest ein Paar Schuhe gebrauchen, die du bei dem Tanzabend zu deinem neuen Kleid anziehen kannst.“
    „Josephine! Wo kommen die denn her?“
    „Probier sie an und sieh, ob sie dir passen.“
    Mary setzte sich aufs Bett und schob die Füße in die Schuhe. „Woher hast du die denn?“
    „Sie sind ein Geschenk von jemandem, der gesehen hat, dass wir sie brauchen. Ich habe auch ein neues Paar, siehst du?“ Sie hob den Saum ihres Kleides an, um Mary ihre Schuhe zu zeigen.
    „Du hättest sie nicht annehmen dürfen. Es wird Mutter nicht gefallen, dass wir Almosen annehmen.“ Ihre leise Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    „Aber wir brauchen sie doch, oder nicht? Passen sie dir?“
    „Ja. Sogar sehr gut.“
    „Gut. Meine passen auch. Wir tragen die Schuhe jetzt einfach und freuen uns darüber. Mit Mutter können wir uns auseinandersetzen, wenn sie die Schuhe bemerkt.“
    Mary sah sie zweifelnd an, als hätte sie Angst, gegen das strenge Regelwerk ihrer Mutter zu verstoßen. Sie war noch ein Kind gewesen, gerade einmal elf Jahre alt, als der Krieg angefangen hatte, ihr angenehmes Leben zu zerstören, und Josephine konnte die andauernden Folgen sehen, die er bei Mary hinterlassen hatte. „Erinnerst du dich noch an früher, Mary, als wir Dinge wie Schuhe und neue Kleider für selbstverständlich hielten anstatt für einen Luxus?“
    „Ja … ich musste mir nie Gedanken darüber machen, dass ich aus meinen Schuhen oder Kleidern herauswachse, oder mich fragen, was ich dann tun soll. Aber die Dinge werden immer noch schlimmer, scheint mir. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir jeden Tag irgendetwas anderes verlieren.“ Sie machte Anstalten, die Schuhe wieder auszuziehen, aber Josephine hielt sie zurück.
    „Nein, lass sie an und steig auf den Stuhl dort, damit ich den Saum abmessen kann. Wie fühlt sich das Kleid an? Passt es dir?“
    „Ja, es sitzt wie angegossen. Wie hast du nur so nähen gelernt?“
    „Es ist nicht schwierig. Du –“ Sie hatte sagen wollen: Du könntest es auch , aber im letzten Moment überlegte sie es sich anders. „Du würdest staunen, wie einfach es ist.“
    Jo half Mary auf den Stuhl, dann setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden, ein Nadelkissen neben sich, und fing mit der Arbeit an. Sie erinnerte sich an die Panik ihrer Schwester, als sie in Tante Olivias Haus in Richmond in der Ecke gekauert hatten. Mary war ein schönes Mädchen, das die porzellanartige Haut ihrer Mutter geerbt hatte, und ihre zarten Wangen waren immer noch rosig und kindlich. Aber sie war ganz verängstigt, sprach stets leise und ging leise, als hätte sie Angst, sie könnte etwas tun, was die nächste Katastrophe auslöste. Wie würde ihre Zukunft aussehen? Josephine hielt beim Feststecken des Stoffes inne und blickte zu Mary hinauf.
    „Jemand hat mich vor Kurzem gefragt, was ich mir für mein Leben wünsche, für meine Zukunft. Wie würdest du diese Frage beantworten, Mary?“
    „Ich möchte die gleichen Dinge, die jede Frau sich wünscht: heiraten, ein eigenes Haus, Kinder. Was gibt es denn sonst?“
    Josephine wusste selbst keine Antwort auf diese Frage. „Würdest du jemals einen Mann aus Liebe heiraten?“
    „Was meinst du damit?“
    „Stell dir vor, du würdest dich in einen Mann verlieben, den Mutter für ungeeignet hält. Jemanden, der es sich nicht leisten könnte, Dienstboten einzustellen, und du müsstest alles Kochen und Putzen und all die andere Arbeit, die Lizzie tut, selbst erledigen. Würdest du ihn trotzdem heiraten?“
    „Ich will mir so etwas nicht einmal vorstellen! Es wird nicht passieren. Ich weiß, dass die Leute hier in der Gegend im Augenblick nicht viel haben, weil die Yankees alles gestohlen haben, aber Mutter sagt, wenn ich alt genug bin, um zu heiraten, werden wir alles wiederhaben.

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