Am Anfang eines neuen Tages
unser Feind. Und ich schwöre, wir haben nur geredet. Es ist nicht so, wie du denkst.“ Aber Mary hatte recht. Der Blick, mit dem Alexander sie angesehen hatte, ließ ihr Herz jetzt noch rasen wie ein Vollblut auf der Rennbahn. Sie holte tief Luft und atmete geräuschvoll aus. „Bitte erzähl es Mutter nicht. Ich habe dir ein neues Kleid genäht, ich habe dir neue Schuhe gebracht – daher kommen sie übrigens. Von Mr Chandlers Kirche im Norden.“
„Du magst ihn, oder? Und sag nicht, dass das nicht stimmt, denn ich sehe es an deinem Gesicht.“
„Mary –“
„Was werden unsere Nachbarn sagen, wenn sie davon erfahren? Mutter veranstaltet einen Tanzabend, damit wir Ehemänner finden – anständige, ehrenwerte Ehemänner – und du darfst mir das nicht kaputt machen. Das kannst du nicht tun! Vielleicht willst du nicht glücklich sein, aber ich schon.“
Als sie bei den Ställen angekommen waren, blieb Jo stehen, weil sie Angst hatte, ihre Mutter könnte sie streiten hören, wenn sie sich dem Haus weiter näherten. Sie erinnerte sich an Alexanders Worte über das Glücklichsein und die Freude und fragte sich, ob sie Mary den Unterschied würde erklären können.
„Glück ist das, was wir vor dem Krieg hatten, als Daddy noch am Leben war. Es war von unserem Wohlstand abhängig und davon, dass wir Dienstboten hatten und ein schönes Haus. Aber nichts davon war von Dauer. Als unsere Umstände sich änderten, waren wir mit einem Mal nicht mehr glücklich. Aber wir können Freude empfinden, jetzt und in Zukunft, auch wenn wir kein schönes Zuhause mehr haben oder Dutzende Dienstboten oder reiche Ehemänner.“
„Du redest Unsinn.“ Mary sah ihrer Mutter unglaublich ähnlich, wenn sie so dastand, die Hände in die Hüften gestemmt und das Kinn vorgereckt.
„Hast du jemals Lizzie und Otis und ihre Kinder beobachtet? Sie haben nichts – kein Haus, kein Geld, sie tragen Lumpen und gehen barfuß –, aber sie haben Liebe und Freude.“
„Und du glaubst, das kannst du mit deinem Yankee auch haben?“
„Nein, Mary. Nein. Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann, das ist alles. Ich kann es nicht ertragen, den ganzen Tag im Haus gefangen zu sein und nichts zu tun. Ich langweile mich. Deshalb habe ich angefangen, dein Kleid zu nähen und die Terrasse sauber zu machen. Mr Chandler ist jemand Neues, mit dem ich mich unterhalten kann, das ist alles. Aber bitte erzähl es Mutter nicht. Sie würde es nie verstehen. Sie würde mich einsperren.“
„Wenn du mir versprichst, ihn nicht wiederzusehen, dann verspreche ich, nichts zu verraten.“
„Gut. Aber ich muss ihn noch einmal sehen, um zu erklären, warum –“
„Nein! Geh einfach nicht mehr zum Baumhaus. Er wird schon dahinterkommen, warum.“
„Aber dann denkt er –“
„Was? Was soll er denken?“ Wieder stemmte Mary die Hände in die Hüften.
Josephine wollte gerade antworten, dass Alexander dann denken würde, sie mache sich nichts aus ihm, aber das traute sie sich nicht laut zu sagen. Denn sie machte sich etwas aus ihm. Entgegen aller Logik, aller Vernunft, allen Anstands mochte sie ihn. Vielleicht zu sehr.
Sie nahm Marys Hände in die ihren und blickte ihr in die Augen. Und so sehr es Josephine auch widerstrebte, diese Worte auszusprechen, sagte sie: „Ich verspreche es. Ich verspreche, dass ich Alexander Chandler nicht wiedersehen werde.“
Kapitel 25
17. Juni 1865
„Ich möchte, dass dieser Raum gründlich geputzt wird“, sagte Eugenia, als sie ihr Gästezimmer begutachtete. „Das bedeutet, die Bettwäsche muss gewechselt, der Boden gekehrt und die Möbel müssen abgestaubt werden. Diese Gardinen müssen abgenommen, gewaschen, gestärkt und gebügelt werden. Lass die Fenster eine Weile offen stehen, während du arbeitest, damit das Zimmer richtig gelüftet wird.“
„Ja, Ma’am.“ Roselle hatte die richtige Antwort gegeben, aber Eugenia ertappte sie dabei, wie sie aus dem Fenster sah und nicht auf die Arbeit, die zu tun war. Die beiden kleinen schwarzen Mädchen, die Roselle helfen sollten, zeigten Eugenia gegenüber den angemessenen Respekt, aber sie waren noch viel zu klein, um richtige Dienstmädchen zu sein.
„Hör mir zu, Roselle. Ich will, dass alles richtig gemacht wird. In zwei Wochen bekommen wir Besuch aus Richmond.“
„Ja, Ma’am.“
Josephine, die Eugenia ebenfalls durchs Haus gefolgt war, trat näher und flüsterte: „Du kannst ihnen keine Befehle erteilen, Mutter. Sie sind keine –“
„Ich weiß, ich
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