Am Anfang eines neuen Tages
war ihrer Familie und dem Süden gegenüber treulos. „Gab es noch etwas, das Sie mir sagen wollten?“, fragte sie und entfernte sich einen kleinen Schritt von Alexander. „Ich kann nicht lange fortbleiben. Eigentlich hätte ich überhaupt nicht kommen dürfen, aber …“ Aber sie hatte ihn sehen wollen. Sie hatte ihn vermisst. Hier zu sein, war in jeder Hinsicht falsch, und doch dachte sie jeden Tag an Alexander und sogar nachts, wenn sie im Bett lag. An dem Abend der Tanzveranstaltung hatte sie sich unvernünftigerweise gewünscht, er würde groß und attraktiv im Türrahmen erscheinen und sie zum Walzer auffordern. Sie hatte so getan, als tanze sie mit Alexander und nicht mit Henry Schreiber.
„Ich verstehe“, sagte er. „Da wir nicht viel Zeit haben, will ich Sie nur noch fragen, ob Sie Gott immer noch böse sind und immer noch nicht beten können.“
„Ich gehe Gott ganz aus dem Weg“, sagte sie und blickte auf ihre Füße und die Schuhe hinunter, die er ihr gegeben hatte. „Ich gehe mit meiner Familie in die Kirche, weil es von mir erwartet wird, aber es ist nur eine Routine für mich.“ Sie machte noch einen kleinen Schritt von ihm fort. Vielleicht würde es nicht so wehtun, ihm irgendwann den Rücken zuzukehren und zu gehen, wenn sie es stückweise tat.
„Haben Sie versucht, Gott anzuschreien? Wütend zu werden? Ihm zu sagen, was Sie denken?“
Sie lachte leise. „Ich fange gerade erst an, das mit echten Leuten wie Harrison Blake zu tun. Sogar meiner Mutter habe ich Widerworte gegeben – etwas, das ich mich niemals getraut hätte, bevor ich Sie kannte. Aber ich habe noch nicht den Mut, Gott anzuschreien.“
„Sie müssen nicht wirklich schreien“, sagte er lachend. „Sprechen Sie einfach offen mit ihm, so wie Sie und ich es immer tun.“
„Er gibt mir aber keine Antworten auf meine Fragen, so wie Sie es tun.“ Sie blickte zu ihm auf und sein Grinsen entlockte ihr ein Lächeln. „Sie waren sein Sprecher, Alexander, und haben mir eine Menge gegeben, worüber ich nachdenken kann. Dafür bin ich sehr dankbar.“
„Sie sehen hübsch aus, wenn Sie das Haar so tragen“, sagte er leise. „Ich habe Sie vermisst, Josephine.“ Er hatte den Blick nicht ein einziges Mal von ihr abgewendet, seit sie erschienen war. Sie schloss die Augen und sehnte sich danach, ihm zu sagen, dass sie ihn auch vermisst hatte, aber es hatte keinen Sinn, das zu tun. Ihre Freundschaft durfte nicht sein. Und alles darüber hinaus wäre sowieso ein undenkbarer Skandal.
„Ich muss gehen. Es tut mir wirklich leid. Aber ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mein Versprechen Mary gegenüber gebrochen habe.“
„Warten Sie!“ Als er ihre Hand nahm, ließ sie es zu. Sie hatte den Kopf gesenkt, damit er ihre Tränen nicht sah. „Können wir einander nicht schreiben? Damit würden Sie Ihr Versprechen doch nicht brechen, oder? Roselle könnte unsere Briefe überbringen.“
„Ich habe kein Papier. Das habe ich komplett aufgebraucht, als ich meinen Brüdern im Krieg Briefe geschrieben habe. Ich weiß, das klingt wie eine alberne Ausrede, aber es ist wahr.“
„Dann schicke ich Ihnen Papier. Und auch Tinte, wenn Sie welche brauchen. Ich werde sie gleich heute Nachmittag schicken. Bitte, Josephine? Sie könnten mir in den Briefen Ihre Fragen stellen und ich würde versuchen, sie zu beantworten. Ich muss einfach wissen, wie es Ihnen geht.“
Sie sollte nicht einwilligen, ihm zu schreiben. Aber wenn sie sich heute verabschiedete und fortging, würde sie ihn vielleicht niemals wiedersehen, würde sie nie wieder mit ihm sprechen, und diesen Gedanken konnte sie nicht ertragen. „Vielleicht können wir uns eine Weile schreiben.“
Selbst das erschien ihr betrügerisch. Sie würde es heimlich tun müssen, sonst würde ihre Mutter wissen wollen, woher das Schreibpapier kam und für wen die Briefe waren. Aber Josephine konnte die Erleichterung nicht leugnen, die sie empfand, weil es einen Weg gab, ihre Freundschaft fortzusetzen.
„Danke, Josephine.“ Seine Worte klangen wie ein Seufzer der Erleichterung. Er drückte ihre Hand, bevor er sie losließ. „Und noch etwas …“, sagte er, als sie Anstalten machte zu gehen. Sie drehte sich um und sah ihn an. „Bitte geben Sie Gott noch eine Chance.“
Josephine erreichte das Haus, ohne gesehen zu werden. Als Mary aufwachte, saß sie in ihrem Schlafzimmer am Frisiertisch und steckte ihre Haare auf. Sie gingen zusammen zum Frühstück hinunter, aber Jo wich dem Blick
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