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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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ihrer Schwester aus, weil sie sich sicher war, dass man ihr das schlechte Gewissen von den Augen ablesen konnte. Oder vielleicht die Tatsache, dass sie glücklich war.
    „Ich habe gute Neuigkeiten, Mädchen“, verkündete ihre Mutter beim Frühstück. „Ich habe Mrs Schreiber und Mrs Gray heute zum Tee eingeladen. Ich erwarte natürlich, dass ihr beide dabei seid und euch darum kümmert, dass unsere Gäste sich wohlfühlen. Ihre Söhne wären gute Partien, wie ihr wisst.“
    Josephine starrte auf die Tischplatte und versuchte, ein in ihr aufsteigendes Gefühl der Panik zu unterdrücken. Ihr Vater hatte ihr einmal erklärt, wie er und die anderen Männer Fasane jagten, indem die Sklaven in einem immer enger werdenden Kreis durch das Gebüsch liefen und die Vögel in die Schusslinie der Jäger scheuchten. Jetzt fühlte sie sich wie einer dieser hilflosen Vögel. Ihre Mutter war eine starke, zielstrebige Frau. Ihre Pläne ließen keine Flucht zu.
    „Aber … aber Joseph Gray ist beinahe zehn Jahre älter als Mary“, platzte es aus Jo heraus. „Sie ist viel zu jung für ihn.“
    „Ich werde im August siebzehn.“ Marys Wangen leuchteten wie reife Äpfel. Sie hatte bei dem Fest viel Zeit mit Joseph verbracht und Jo konnte sehen, dass sie ihn schon jetzt mochte.
    „Mary ist genau im richtigen Alter“, sagte Mutter. „Und wie du weißt, war dein Vater auch einige Jahre älter als ich. Die jungen Männer in unserer Gesellschaft sind jetzt nach dem Krieg bereit, sich niederzulassen. Wir können es uns nicht leisten, zu lange zu warten.“
    „Warum sagst du es nicht einfach, Mutter: Ich bin zweiundzwanzig und unscheinbar und im Prinzip schon jetzt eine alte Jungfer. Such du nur einen Mann für Mary, aber halte mich bitte da heraus.“
    „Dich heraushalten? Damit du was tun kannst, Liebes?“ Mutters Stimme klang liebenswürdig, aber Josephine hörte die Schärfe in ihren Worten. „Hast du vor, dich in die Religion zu stürzen, wie Großtante Hattie es getan hat, und den ganzen Tag in der Bibel zu lesen und Moralapostel zu spielen? Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber Herrin eines eigenen Hauses zu sein, Kinder aufzuziehen und einen guten Mann zu haben, der für dich sorgt, ist sehr befriedigend. Es gibt nur wenige Alternativen, die dir die gleiche Befriedigung bringen.“
    Josephine wusste, dass ihre Mutter die Wahrheit sagte. Vor ihr lag eine lange, einsame Zukunft als unverheiratete Frau – ohne eigenes Heim, angewiesen auf die Wohltätigkeit ihrer Familie, was ihren Lebensunterhalt betraf, bis sie irgendwann starb. Alexander hatte behauptet, dass der Krieg sie befreit habe, und auch wenn das für die Frauen im Norden stimmen mochte, galt es nicht für sie.
    „Was hältst du von Henry Schreiber, Josephine? Du hast doch mit ihm getanzt, nicht wahr?“
    „Er scheint ganz nett zu sein. Aber ich hatte kaum Zeit, ihn kennenzulernen.“
    „Dafür gibt es ja die Zeit des Werbens, in der ein Mann dir den Hof macht. Du könntest ihm wenigstens eine Chance geben. Und anfangen könntest du damit, dass du nett zu seiner Mutter bist.“
    Henry war einer von Daniels Freunden und einer der Männer, die Otis und Willy zusammengeschlagen und die Schule angezündet hatten. Alexander hatte sie erst heute Morgen daran erinnert, dass zwei Schwarze in jener Nacht gestorben waren. Könnten sie und Mary am Ende mit einem Mörder verheiratet sein? Würde sie ihren Mann immerzu ansehen und sich fragen, ob er dazu in der Lage war, einen unschuldigen Mann zu töten – und es niemals wagen, ihn zu fragen?
    „Und bitte, Josephine“, endete ihre Mutter, „behalte deine radikalen Ansichten über Gartenarbeit oder Kochen oder Nähen für dich.“
    Bei dem Teekränzchen ihrer Mutter an diesem Nachmittag kam sich Josephine wie ein Ausstellungsstück vor. Sie hatte vor dem Krieg an ähnlichen Veranstaltungen teilgenommen, die das gleiche Ziel gehabt hatten, nämlich einen Ehemann zu ergattern – das hatte sich nicht geändert. Aber der Krieg hatte Josephine verändert. Allmählich fand sie ihre eigene Stimme und sie wollte den Mund aufmachen, wollte ihre Meinung sagen, sich ihren Mann selbst aussuchen oder auch die Entscheidung treffen, überhaupt nicht zu heiraten. Aber stattdessen schwieg sie sittsam und tat genau das, was von ihr erwartet wurde, für ihre Mutter und um Marys willen. Ein Teil des Schreiber ’ schen Landes grenzte an White Oak, und während Josephine zuhörte, wurde ihr bewusst, dass Daniel und Henry Pläne

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