Am Anfang eines neuen Tages
zweimal meinte Eugenia, ihn nachts weinen zu hören, aber sie ging nicht zu ihm und sprach ihn auch nicht darauf an. Wenn Daniel wach war, beobachtete Eugenia ihn aus der Ferne, während er im Haus oder auf der Plantage herumlief und oft stehen blieb, um ins Leere zu starren oder sich eine Träne abzuwischen. Sie beschloss, dass sie ihm am besten helfen konnte, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, wenn sie ihn ermutigte, mit seinen Freunden zusammen zu sein. Die anderen Plantagenbesitzer und ihre Söhne waren in der gleichen Situation wie Daniel, vielleicht konnten sie sich deshalb gegenseitig trösten und Mut machen.
„Du vermisst doch sicher die Kameradschaft, die du während des Krieges erlebt hast“, sagte sie eines Morgens beim Frühstück. „Du hast jede Schlacht gemeinsam mit deinen Freunden geschlagen und eine so lange Zeit verbindet doch sehr.“
„Wir waren von Anfang an bis jetzt zusammen – diejenigen von uns, die noch übrig sind.“
„Soll ich Otis sagen, dass er die Kutsche für uns anspannen soll? Ich finde, wir sollten heute Vormittag Harrison Blake und seine Mutter besuchen. Mary und Josephine, ihr müsst auch mitkommen.“
„Ich würde lieber zu Hause bleiben“, sagte Josephine.
Eugenias Temperament flammte auf, bevor sie sich beherrschen konnte. „Warum? Damit du wieder in der prallen Sonne im Garten arbeiten und dich mit dieser elenden Sklavin unterhalten kannst?“ Sie hielt inne, um ihre Fassung wiederzuerlangen. „Du musst mit Menschen sprechen, die uns gesellschaftlich ebenbürtig sind, Josephine. Harrisons Mutter ist eine meiner besten Freundinnen und es ist viel zu lange her, dass wir sie besucht haben.“
„Ich war dabei, als Captain Blake sein Bein verloren hat“, sagte Daniel mit düsterer Miene. „Er und Samuel standen nebeneinander, als die Bomben anfingen niederzugehen. Wenn ich ein paar Meter näher gewesen wäre …“ Seine Stimme verebbte, zittrig vor unvergossenen Tränen.
Eugenia holte tief Luft, damit ihre eigene Stimme fest klang, denn sie wusste, dass ihr Sohn Samuel an der Seite seines Freundes Harrison gestorben war. „Du darfst nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn, Liebling. Du bist jetzt zu Hause und das ist alles, was zählt. Ich bin mir sicher, Captain Blake würde sich über einen Besuch freuen. Er war so lange im Chimborazo Hospital. Seine Mutter und seine Verlobte waren mehrere Monate dort, um ihn zu pflegen. Bestimmt wird er sich freuen, dich zu sehen.“ Und vielleicht würde Daniel endlich aus seinem Trübsinn auftauchen, wenn ihm bewusst wurde, wie viel Grund zur Dankbarkeit er hatte – unter anderem für die Tatsache, dass er am Leben war und noch alle Gliedmaßen hatte.
Eine Stunde später waren sie endlich auf dem Weg, obwohl Eugenia das Gefühl hatte, als würde sie alle ihre drei Kinder gegen ihren Willen mitschleifen. Als sie ankamen, war bereits eine kleinere Kutsche an dem Geländer vor dem Haus befestigt. „Sie haben Besuch“, sagte Josephine. „Wir sollten wieder fahren.“
„Unsinn. Wir können wenigstens Hallo sagen.“ Eugenias Fahrer half ihr aus der Kutsche und sie war erleichtert, als ein schwarzer Diener die Tür öffnete, um sie zu begrüßen. Wenigstens hatte ihre Freundin Priscilla Hilfe im Haus. „Stören wir?“, fragte Eugenia den Diener. „Ich sehe, dass die Blakes bereits Gesellschaft haben.“
„Es ist nur Miz Emma, Ma’am. Sie und Miz Priscilla werden sich freuen, Sie zu sehen.“
Eugenia gab ihren Kindern, die zurückgeblieben waren, ein Zeichen. „Kommt jetzt. Die Kutsche gehört Harrisons Verlobter.“
Der Diener führte sie in das frühere Arbeitszimmer, das jetzt in ein ebenerdiges Schlafzimmer verwandelt worden war. Harrisons Vater war einige Jahre vor dem Krieg gestorben und hatte die Plantage seinem einzigen noch lebenden Kind vermacht. Die Vorhänge im Arbeitszimmer waren zugezogen, sodass der Raum düster wirkte. Eugenia wartete, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann versuchte sie, ihr Entsetzen zu verbergen, als sie Harrison, gestützt von Kissen, im Bett liegen sah. Er erinnerte sie an eine Leiche, denn sein Gesicht war so weiß wie die Laken, auf denen er ruhte. Sie bemerkte unwillkürlich die Umrisse seiner Beine unter der Bettdecke, eines in voller Länge, das andere endete oberhalb des Knies.
Sie trat zur Seite, als ihre Kinder das Zimmer betraten, und stellte peinlich berührt fest, dass Daniel Tränen in den Augen hatte. Mary und Josephine
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