Am Anfang eines neuen Tages
anbieten kann, aber es wird ihnen guttun, zusammen zu sein. Harrison sollte auch kommen.“
„Das wird er nicht“, sagte Emma. „Er würde den Gedanken verabscheuen. Harrison hasst es, wenn alle ihn so sehen, im Bett liegend und hilflos. Er sagte, er fühle sich gar nicht mehr wie ein Mann.“
„Das ist nur seine Krankheit, die da aus ihm spricht. Jetzt, wo er zu Hause ist, wird er sich bald wieder besser fühlen.“
„Ich bete, dass Sie recht haben, Mrs Weatherly.“
„Wir haben es vor dem Krieg genossen, einander zu besuchen, nicht wahr, meine Damen? Und jetzt müssen wir uns einfach öfter sehen. Es wird uns aufmuntern.“ Außerdem hatte der Besuch ihr bewusst gemacht, dass sie alles dafür würde tun müssen, Ehemänner für Mary und Josephine zu finden. So viele junge Männer waren gestorben, dass die Konkurrenz groß war. Josephine war ein eher unscheinbares Mädchen, das musste sie sich ehrlich eingestehen, aber Charme und Persönlichkeit konnten für vieles entschädigen. Sie musste sich einfach mehr anstrengen.
Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis es Eugenia zu viel wurde, die Verantwortung für das Gespräch zu tragen. Daniels Zeit mit Harrison dauerte viel länger, als es bei einem gesellschaftlichen Besuch üblich war, und ihr fiel nichts Belangloses mehr ein, was sie sagen konnte. Sie erhob sich und strich ihren Rock glatt. „Wir wollen nicht länger stören, Priscilla. Ich bin mir sicher, du hast viel zu tun. Emma, würdest du Daniel bitte sagen, dass wir fahren können?“
Emma verließ den Raum, kam aber beinahe sofort mit verwirrter Miene zurück. „Daniel ist nicht mehr da, Mrs Weatherly. Harrison sagt, er habe sich schon vor einer Weile verabschiedet und sei nach Hause gelaufen.“
Wie merkwürdig. Und wie unhöflich. Aber Eugenia sprach ihre Gedanken nicht aus. „Natürlich, Harrison muss sich ausruhen. Und Daniel wollte uns wahrscheinlich nicht das Gefühl geben, dass wir uns beeilen müssen. Ich verspreche, dass wir ein andermal wiederkommen, Priscilla, meine Liebe. Und es war reizend, dich wiederzusehen, Emma.“
Eugenia dachte, sie würden Daniel auf dem Heimweg vielleicht einholen, aber auf der Straße war niemand zu sehen. Wie lange war es her, dass er gegangen war? Wo steckte er nur?
„Ihr Mädchen seid heute ja sehr schweigsam“, sagte Eugenia, als sie ihre Hüte und Handschuhe im Foyer ablegten. „Ich fürchte, ihr habt vergessen, wie man höfliche Konversation macht.“
„Ich wusste nicht, was ich sagen sollte“, erwiderte Josephine.
„Ich auch nicht“, ergänzte Mary. „Harrison sieht aus, als würde er sterben, und alle waren so furchtbar traurig. Ich würde es Emma nicht übel nehmen, wenn ...“ Sie beendete den Satz nicht.
„Es ist falsch, den Menschen, den man liebt, im Stich zu lassen, wenn schwere Zeiten kommen. Irgendwann wird es wieder besser. Erinnert ihr Mädchen euch noch an die Gewitter, die wir früher in den Sommermonaten hatten, und daran, wie der Wind all die Blätter und Zweige in unseren Garten geweht hat? Manchmal war sogar der Weg überflutet, wisst ihr noch? Aber mit der Zeit wurde alles wieder weggeräumt und das Wasser verschwand und wir konnten das Gewitter vergessen.“
„Harrison Blake wird aber kein neues Bein wachsen.“
„Josephine! Was für eine Bemerkung! Was ist in letzter Zeit nur in dich gefahren?“
„Es ist doch wahr, oder?“
Eugenia atmete tief aus. „Was soll ich nur mit dir machen?“ Ihr kam es vor, als wäre ihre Tochter ihr in den langen Kriegsjahren entglitten und als hätte sie die Verbindung zu ihr verloren, so wie zu Daniel damals, als Petersburg unter Beschuss gestanden hatte. Ja, der Krieg war lang und schrecklich gewesen und die Traurigkeit hing immer noch wie Nebel über dem Süden. Aber Eugenia beschloss, frische Luft und Sonnenlicht hereinzuholen, um den Nebel zu vertreiben. Sie würde Daniel helfen, eine Frau zu finden, und dafür sorgen, dass ihre Töchter eigene Familien gründeten mit Ehemännern, die auf sie achtgaben. Und mit der Zeit würde die White Oak Plantage wieder so werden, wie sie es einmal gewesen war.
Kapitel 6
3. Mai 1865
Es war nicht nur die tiefschwarze Nacht, die Lizzie Angst machte. Tatsache war, dass sie die Plantage noch nie im Leben verlassen hatte, und der Gedanke wegzugehen versetzte sie in Angst und Schrecken. Aber Otis hatte Verwandte unter den früheren Feldsklaven von White Oak und Lizzie wusste, dass er sie gerne sehen wollte. Die einzige Familie, die
Weitere Kostenlose Bücher