Am Anfang eines neuen Tages
während ich fort war, weil ich dachte, sie wäre in Savannah besser aufgehoben, aber sie und ihre Mutter sind beide am Fieber gestorben.“
„Das tut mir sehr leid. Aber kommen Sie doch bitte herein, David. Ich weiß, dass Priscilla dringend mit Ihnen über Harrison sprechen möchte.“
„Ja, natürlich. Ich gehe zuerst zu meinem Patienten, wenn Sie nichts dagegen haben.“ Er verschwand in Harrisons Zimmer im Erdgeschoss und einen Moment später kamen Josephine und Mary heraus, damit die beiden ungestört waren. Die Mädchen sahen so erleichtert aus wie freigelassene Gefangene.
„Ich bin eine schreckliche Gastgeberin, nicht wahr?“, sagte Priscilla. „Möchtet ihr einen Tee?“
„Nein, mach dir keine Umstände“, sagte Eugenia. „Wir brauchen nichts, habe ich recht, Mädchen?“ Mary nickte und setzte sich zu ihnen ins Wohnzimmer. Es schien Priscilla ein wenig aufzumuntern, sich eine Weile zu unterhalten. Josephine verschwand wie üblich. Eugenia hörte das leise Klappern von Tellern und Tassen in der Küche und vermutete, dass ihre Tochter das Geschirr abwusch. Warum um alles in der Welt bestand das Mädchen darauf, Bedienstete zu spielen?
Fünfzehn Minuten später kam der Arzt mit besorgter Miene aus Harrisons Zimmer. „Darf ich um eine Unterredung bitten, Mrs Blake?“
Eugenia erhob sich. „Wir müssen gehen“, sagte sie, aber Priscilla ergriff ihre Hand.
„Nein, warte! Bitte! Ich will nicht, dass du gehst. Wenn es schlechte Nachrichten gibt, d-dann brauche ich dich …“
„Natürlich, meine Liebe. Mary, warte bitte draußen bei unserer Kutsche. Ich komme gleich.“
„Wie geht es ihm?“, fragte Priscilla, sobald Mary gegangen war. Tränen traten in ihre Augen, bevor Dr. Hunter die Gelegenheit hatte zu antworten.
„Körperlich fehlt ihm nichts, Mrs Blake. Seine Wunde ist völlig verheilt. Ich weiß, dass er über Phantomschmerzen in dem fehlenden Bein klagt, aber das ist ganz normal.“
„Er isst kaum etwas und wird von Tag zu Tag schwächer. Er hat seine Verlobung mit Emma Welch gelöst und jetzt hat er auch noch alle unsere Bediensteten vertrieben.“
„Ja, das mit Miss Welch hat er mir erzählt.“
„Er sagt immer, er wolle sterben, und ich habe solche Angst, dass er sich etwas antut … dass ich ihn finde …“
Der Arzt legte eine Hand auf ihre Schulter. „Ich kenne keine Medizin gegen Verzweiflung. Es tut mir schrecklich leid. Aber ich verspreche, dass ich in Zukunft häufiger zu einem Besuch vorbeikommen werde, wenn Sie wollen. Und ich werde mich bemühen, von der Regierung Lebensmittelpakete für Sie beide zu bekommen. Unten im Dorf werden vom Amt für Freigelassene Vorräte verteilt. Vielleicht hilft ihm eine bessere Ernährung.“
„Das wäre sehr freundlich. Danke, dass Sie gekommen sind, Doktor.“
Eugenia begleitete ihn zur Tür. Er blieb auf der Schwelle stehen und sagte: „Es war wunderbar, Sie wiederzusehen, Eugenia. Sie sehen wie immer umwerfend aus.“
„Danke, David.“ Seine Bewunderung hob ihre Stimmung, auch wenn er nicht ihrer Gesellschaftsschicht angehörte. Sie hatte erleichtert festgestellt, dass sein Haus in der Stadt den Krieg überlebt hatte, aber sie stellte sich lieber nicht vor, wie es darin aussah ohne eine Frau, die sich darum kümmerte. Dr. Hunter und seine Frau hatten nie Sklaven gehabt.
Als er abgefahren war, ging Eugenia wieder hinein und fand Josephine tatsächlich unten in der Küche vor, die jetzt sauber und ordentlich aussah. Ihre Füße waren nackt, da sie die schlecht sitzenden Schuhe abgestreift hatte. Eugenia schüttelte den Kopf, hielt sich aber mit einer tadelnden Bemerkung zurück. „Wir fahren in wenigen Minuten, Josephine. Geh und warte in der Kutsche bei deiner Schwester.“
„Könnt ihr nicht noch ein wenig länger bleiben?“, flehte Priscilla, als Eugenia sich verabschiedete. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie einsam es hier den ganzen Tag ist. Du hast wenigstens noch die Gesellschaft deiner Töchter.“
„Wir kommen bald wieder, das verspreche ich.“ Während Eugenia ihre Freundin zum Abschied umarmte, nahm eine Idee in ihren Gedanken Gestalt an. Sie ließ Priscilla los und nahm ihre Hände. „Hör zu, meine Liebe. Wie wäre es, wenn Josephine für eine Weile zu dir zieht? Sie könnte dir mit Harrison helfen und du hättest Gesellschaft. Was hältst du davon?“
„Oh, aber das kann ich doch nicht –“
„Unsinn. Natürlich kannst du. Jo fährt heute mit mir nach Hause und packt ein paar Dinge, und
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