Am Anfang eines neuen Tages
alles. Die erschütterten Sklaven standen wie angewurzelt da und wagten es nicht, die Männer aufzuhalten, weil sie vor den geladenen Gewehren, die auf sie gerichtet waren, Angst hatten. Als die bewaffneten Männer damit fertig waren, das Lager zu zerstören, wendeten sie ihre Pferde und ritten davon.
„Bist du in Ordnung, Lizzie?“ Otis’ Stimme zitterte.
„Ich habe nur Angst. Und du?“
„Mir geht es gut.“ Er half ihr auf die Füße. Lizzie fühlte sich völlig benommen, als sie sich umsah und beobachtete, wie die anderen in den Trümmern wühlten und retteten, was noch zu retten war. Zum Glück schien niemand verletzt zu sein.
„Warum hassen sie uns so?“, fragte sie Otis.
„Sie sind wütend, weil sie den Krieg verloren haben. Yankees können sie keine mehr töten, also lassen sie ihre Wut an uns aus und geben uns die Schuld.“ Er streckte die Hand aus, um auch Dolly aufzuhelfen.
„Und du erwartest von uns, dass wir für solche Leute arbeiten?“, fragte Dolly.
„Wir können sonst nirgendwohin“, sagte Lizzie. „Du hast sie doch gehört. Ihr könnt nicht mehr hier im Wald leben. Auf der Plantage hättet ihr wenigstens Hütten und zu essen. Außerdem ist Massa Daniel nicht einer von denen.“
„Das weißt du nicht.“
Es stimmte, Lizzie wusste es nicht mit Sicherheit. Der Gedanke jagte ihr einen Schauer der Angst über den Rücken. Sie hatten Roselle und Rufus und Jack allein zu Hause gelassen. „Komm, lass uns nach Hause gehen, Otis. Bitte.“
Sie hielten sich fest an den Händen, während sie durch den Wald zurückeilten und das verlassene Baumwollfeld überquerten. Lizzie konnte nicht aufhören zu zittern. Die Freiheit sollte ein ganz neues Leben bedeuten, ein Leben ohne Angst. Warum fürchtete sie sich dann immer noch so? Sie blickte zu dem Mond und den Sternen hinauf, die am Nachthimmel schimmerten, und fragte sich, wie die Welt zugleich so schön und so hässlich sein konnte.
Kapitel 13
23. Mai 1865
Der Tau durchweichte den Saum von Josephines Rock, als sie durch das Gras zum Baumwollfeld lief. Auch ihre Füße wurden nass, weil die Feuchtigkeit durch ihren kaputten Schuh drang. Doch das war ihr egal. Sie genoss die Freiheit, die sie auf der Plantage der Blakes hatte, die Freiheit, morgens über die Ländereien zu laufen, den Vögeln zu lauschen und zu beobachten, wie die Erneuerung des Frühlings die Erde grün färbte. Diese Plantage war nicht annähernd so groß oder schön wie White Oak. Es gab keinen Wald am Rand der Felder und keine der haushohen Eichen, die die Namensgeber für ihre Plantage gewesen waren. Das Haus war ebenfalls kleiner und weniger elegant. Aber Harrison Blake hatte den Besitz nach dem Tod seines Vaters gut bewirtschaftet und die Plantage war erfolgreich gewesen – vor dem Krieg jedenfalls.
Josephine blieb stehen, als sie den Zaun erreichte, und blickte über die von Unkraut überwucherten Felder hinaus. Bald würde das Land wieder Frucht tragen. Mr Chandler vom Amt für Freigelassene war gestern mit fünf schwarzen Familien gekommen, die einen Vertrag unterschrieben hatten, durch den sie Farmpächter auf dem Land der Blakes wurden. Josephine hatte auf der Veranda gestanden und zugesehen, wie die ehemaligen Sklaven die Straße zu ihren neuen Unterkünften hinaufgegangen waren. Ihr Hab und Gut hatten sie zu Bündeln geschnürt und auf ihren Rücken oder Köpfen getragen. Sie hatte einen kleinen Anflug von Hoffnung verspürt, den ersten seit Langem, als sie die Arbeiter hatte eintreffen sehen, und sie hatte sich gefragt, ob sie auch voller Hoffnung waren. Drei der Frauen waren sofort in den Keller hinuntergegangen, um die Küche zu begutachten, und kurze Zeit später hatte dort ein Feuer gebrannt. Die Männer hatten sich miteinander unterhalten und gelacht, während sie den Schuppen nach Werkzeug durchsucht hatten.
An diesem Morgen beobachtete Josephine zwei Rotkehlchen, die ihr Nest in einem Baum in der Nähe bauten, und war … beinahe glücklich. Wäre nicht Harrisons ständige Jammerei gewesen, hätte sie es gar nicht eilig gehabt, nach Hause zurückzukehren. Ihr gefielen die Ungestörtheit und die Ruhe hier ohne die endlosen Klagen ihrer Familie und Mutters Ermahnungen, auf ihre Haltung zu achten oder ihre Frisur zu richten. Sie mochte die Freiheit, im Garten zu arbeiten, wenn sie das wollte, oder auf dem Grundstück spazieren zu gehen. Mrs Blake und sie hatten gemeinsam einfache Mahlzeiten zubereitet und Jo genoss es zu essen, was sie mit ihren
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