Am Anfang ist die Ewigkeit
nirgends zu sehen war. Dafür stand Tim in der Küche und schmierte sich ein gewaltiges Sandwich.
Als sie eintrat, hob er den Kopf. »Hallo, Kleines! Na, wie war die Schule?«
»Ganz gut. Warum bist du eigentlich nicht vorbeigekommen? Du solltest doch die Papiere unterschreiben und Miss Rose die Geburtsurkunde geben.«
»Tut mir leid, Sasha. Das erledige ich morgen.« Er klatschte ein paar Tomatenscheiben auf einen ziemlich wackeligen Turm aus Roastbeef und weiÃem Brot.
»Miss Rose hat richtig Druck gemacht, Tim. Die Abschlussprüfungen sind ja schon nächste Woche.«
Sorgfältig legte er noch ein paar Salatblätter auf das Sandwich. »Ich verstehe gar nicht, wieso die Schule unbedingt eine Geburtsurkunde braucht.« Er nahm das Sandwich mit ins Wohnzimmer und setzte sich in seinen Fernsehsessel.
Sasha ging ihm nach und stellte sich neben das Bücherregal, in dem kein einziges Buch, sondern nur Videospiele und DVD s standen. »Wenn es Probleme gibt, sollte ich Rose vielleicht einfach sagen, dass wir warten müssen, bis Mum sich gemeldet hat.«
Tim wirkte mit einem Mal sehr verärgert. Er lief rot an und warf mit seinen kleinen Augen hastige Blicke zur Treppe. »Ich habe doch gesagt, dass ich mich darum kümmere. Und damit basta.«
Warum war er denn plötzlich so aufgebracht? Er hatte sogar sein Sandwich komplett vergessen. Gereizt wischte er sich mit der Serviette den Schweià aus dem aufgedunsenen Gesicht und nuschelte irgendetwas von Konsequenzen und dass er von all dem die Schnauze voll hatte.
»Was ist denn los? Machen die Behörden in Marin County irgendwelche Schwierigkeiten?«
»Wieso erzählst duâs ihr nicht einfach, Tim?« Melanie kam die Treppe herunter. »Komm schon, sag ihr, warum du keine Geburtsurkunde anfordern kannst.«
Sasha spannte alle Muskeln an und machte sich auf eine hässliche Auseinandersetzung gefasst.
Melanie setzte sich auf das Sofa, schlug die Beine übereinander und betrachtete interessiert die Spitzen ihrer hochhackigen Stiefel. »Na los, mach schon, Tim. Wir warten.«
»Sei still, Melanie.« Er wischte sich immer noch mit der Serviette über das Gesicht. »Bitte, Sasha. Lass es gut sein. Ich besorge dir die Geburtsurkunde.«
»Was bist du bloà für ein feiger Wurm!« Melanie wandte sich mit hasserfülltem Blick zu Sasha. »In Marin County gibt es gar keine Geburtsurkunde von dir. Die gibt es nirgendwo. Katya hat dich in einem Elendsviertel in Wladiwostok aufgegabelt, als du zwei Jahre alt warst. Wahrscheinlich bei irgendeiner Crack-Hure, die dich nicht mehr haben wollte.«
»Du lügst!« Sasha sah Tim Hilfe suchend an. Sie rechnete fest damit, dass er Melanie über den Mund fuhr.
Doch Tim lieà den Kopf gegen die Rückenlehne seines Sessels sinken und schloss die Augen. Der Teller mit dem Sandwich rutschte von seinem SchoÃ. Tomaten, Salatblätter, Roastbeef und Brot verteilten sich auf dem Teppich.
»Du bist eine Illegale«, sagte Melanie abfällig. »Du bist nicht mal russische Staatsbürgerin. Im Prinzip existierst du überhaupt nicht. Tim hat erst in San Francisco erfahren, dass du nicht Mikes und Katyas leibliches Kind bist. Sie haben dich auch nicht offiziell adoptiert, also gehörst du eigentlich zu niemandem. Wenn du mit deiner Mutter ausgereist wärst, so ganz ohne Papiere, hätte man dich ihr weggenommen. Aber weil Tim in irgendeiner Fantasiewelt lebt und glaubt, dass er Mike etwas schuldig ist, will er dich unbedingt beschützen. Vor allem jetzt, wo deine ach so heilige Mutter â¦Â«
»Melanie, noch ein einziges Wort und ich schmeiÃe dich raus!«
Melanie stand auf, stellte sich vor Tims Sessel und hob das Roastbeef vom FuÃboden auf. Sie schmierte es ihm übers Hemd und stopfte es in seinen Kragen. »Das spart dir Zeit. So musst du nicht warten, bis es sich als Speckfalte ablagert.« Sie rauschte aus dem Wohnzimmer, schnappte sich ihre Handtasche vom Garderobenständer und warf krachend die Haustür ins Schloss.
Sasha und Tim starrten einander eine Ewigkeit an, bis Tim die Stille unterbrach. »Bevor Katya damals Russland den Rücken kehrte, wollte sie noch einmal das Haus ihres GroÃvaters in Wladiwostok besuchen, um sich zu verabschieden. Sie ging davon aus, dass sie ihre Heimat nie wiedersehen würde. Das Haus war alt und unbewohnt, aber dann hat sie dich zwischen all dem
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