Am Anfang ist die Ewigkeit
Nachdem sie sich hingesetzt hatte, beugte sich Brody dicht zu ihr. »Wie fühlst du dich?«, fragte er flüsternd.
»Ganz gut, nur irgendwie ein bisschen zittrig.« Sie sah ihn an. »Wie war das eigentlich, als du unsterblich geworden bist?«
»Sehr seltsam.«
»Und wie hast du das gemacht?«
»Genau wie die Mephisto. Ich bin über die Klippe gesprungen und als ich wieder aufgewacht bin, war ich unsterblich. Einige verlieren während des Falls den Glauben. Sie wachen in ihrem eigenen Bett wieder auf und denken, dass sie alles nur geträumt haben.« Brody blinzelte sie durch seine bescheuerte Brille hindurch an. »Denkst du etwa darüber nach, Sasha?«
Sie richtete sich auf und schüttelte den Kopf. »Ich habe Jax schon gesagt, dass ich keine Mephisto werden will. Ich weià ja nicht mal, ob ich eine Anabo bleiben will.«
»Aber wieso denn? Das ist doch ein Segen, eine Gabe, etwas ganz Einzigartiges. So gut wie niemand kommt als Anabo auf die Welt. Warum willst du das aufgeben?«
»Weil ich nicht den Rest meines Lebens in ständiger Todesangst leben will.«
Zu Beginn des Unterrichts teilte Mr Hoolihan tote Frösche aus. Sasha hatte erst vor wenigen Wochen in St. Michaelâs einen Frosch seziert, daher wusste sie genau, was zu tun war. Brody starrte seinen Frosch an und machte keinerlei Anstalten, ihn anzufassen.
»Was ist denn los?«, fragte Sasha.
»Ich musste gerade über diesen Frosch nachdenken. Er wurde geboren, um ein Frosch zu sein. Wenn er die Wahl gehabt hätte, eine Schildkröte zu werden oder, sagen wir mal, ein Fisch oder ein Pferd, hätte er sich dann lieber dafür entschieden? Was meinst du?«
»Hör doch auf, irgendetwas an den Haaren herbeizuziehen. Ich bin kein Frosch und ich will auch kein Pferd sein. Ich bin ein Mädchen mit einem komischen Muttermal und denke darüber nach, es mir wegmachen zu lassen.«
»Hat Jax dir verraten, wie selten die Anabo sind?«
»Er hat gesagt, es gibt nicht viele.«
»Soweit wir wissen, bist du im Moment die Einzige. In tausend Jahren haben die Mephisto nur eine andere Anabo gefunden. Willst duâs dir nicht noch mal überlegen? Du könntest so viel bewirken, Sasha. In deinem bisherigen Leben hast du viele Menschen nur durch deine Gabe positiv beeinflusst. Du bist ein Licht in der Dunkelheit. Du gibst den Menschen Hoffnung. Kannst du das wirklich aufgeben? Würdest du dich dann nicht irgendwie schuldig fühlen?«
»Ãberhaupt nicht! Und dass du mir ein schlechtes Gewissen einreden willst, ändert auch nichts daran.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so feige bist.«
War sie tatsächlich feige? War sie der Welt irgendetwas schuldig, weil sie als Anabo geboren worden war?
Sie sezierte den Frosch, füllte das dazugehörige Arbeitsblatt aus, bezeichnete sämtliche Organe und wartete auf Mr Hoolihan. Er gab ihr ein C und wandte sich Brodys Frosch zu.
»Warum kriege ich keine bessere Note? Was habe ich denn falsch gemacht?«, protestierte Sasha.
Mr Hoolihan würdigte sie keines Blickes. »Es passt mir nicht, wie du das Präparat befestigt hast.«
Sein abfälliger Tonfall und seine Haltung machten sie wütend. »Das passt Ihnen nicht? Was soll das denn heiÃen? Entweder habe ich es richtig gemacht oder nicht!«
Er drehte sich mit zusammengekniffenen Augen zu ihr um. Seine Stimme klang fast drohend. »Du hast ein C bekommen. Wenn du so weitermachst, wird daraus ein D.«
Erst jetzt sah sie die Schatten um seine Augen. Sie wusste sofort, warum er sich wie ein Arschloch benahm, und ihre Wut gewann die Oberhand. »Ich habe aber ein glattes A verdient!«
Er strich das C durch und schrieb ein groÃes D auf das Arbeitsblatt. »Du bist hier nicht mehr an einer versnobten Privatschule, meine Kleine.«
»Ich bin nicht Ihre Kleine . Sie geben mir jetzt sofort eine andere Note für diese Arbeit.«
Er strich das D so heftig durch, dass das Papier dabei zerriss. Dann malte er quer über das ganze Blatt ein riesiges F. »So, jetzt zufrieden?«
Sasha sah ihn durchdringend an und er stierte zurück. Ihr ganzer Körper, ihre Seele, alles in ihr verlangte danach, über den Tisch zu springen und ihn zu würgen. Sie zitterte, so viel Anstrengung kostete es sie, sich zurückzuhalten. SchlieÃlich wandte er sich ab. Er warf einen flüchtigen Blick auf Brodys halb
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