Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
jemand ihn haben wollte, als er noch nicht wieder da war?« fragte Michael. »Ach so«, sagte Adina Lifkin, »das ist was anderes. Ich habe jeden Tag die Post aus seinem Fach genommen.«
    Michael konnte sich die Zeremonie genau vorstellen. Als lese sie seine Gedanken, sagte Adina Lifkin: »Um eins mache ich mir immer eine Tasse Kaffe, weil ich so erledigt bin von der Sprechstunde, und danach habe ich jeden Tag sein Fach geleert und die Post angeschaut, von außen natürlich, nur Eilpost habe ich geöffnet. Briefe habe ich ihm alle zwei Wochen nachgeschickt, das hatten wir ausgemacht.« Sie schaute ihn an. »So war das. Sind wir jetzt fertig?«
    Doch Michael ließ nicht locker. »Haben nur Sie die Post rausgeholt? Hat kein anderer sein Postfach geöffnet?«
    »Dann hätte er ja den Schlüssel von mir bekommen müssen«, sagte sie vorsichtig.
    »Und wenn Sie nicht da waren?« fragte Michael.
    »Das gibt es nicht, sogar wenn ich Fieber habe, komme ich zur Arbeit, man kann nicht alles liegenlassen«, sagte Adina Lifkin, sichtlich entsetzt bei dieser Vorstellung, doch dann faßte sie wieder nach ihrer Wange. »Es ist nur ein paarmal passiert, daß ich nicht bei der Arbeit war, wegen einer Zahnbehandlung, weil mein Zahnarzt nur morgens Sprechstunde hat, doch dann habe ich das Fach einfach nicht geleert, die Sachen haben bis zum nächsten Tag gewartet.«
    »Wo haben Sie ihn aufgehoben?«
    »Den Schlüssel? Hier, neben dem Generalschlüssel, in meiner obersten Schublade, weil ich in der zweiten Schublade ...«
    »Das heißt, jeder hätte ihn herausnehmen können?« fragte Michael und sah, wie sie zwischen dem Gefühl, antworten zu müssen, und dem ungeheuren Bedürfnis, den angefangenen Satz zu beenden, hin und her gerissen wurde. Schließlich erlaubte sie sich ein Kopfnicken. Jeder wußte, wo sich der Schlüssel befand.
    »Und Racheli?«
    »Racheli kennt die Regeln«, antwortete Adina Lifkin. »Sie selbst hat das Fach nie geöffnet.«
    Genau im passenden Augenblick machte Elfandari die Tür auf und sagte: »Sie ist da.«
    Michael warf einen Blick durch die Tür und sah die zierliche Gestalt in einem geblümten Sommerkleid und geflochtenen Sandalen, einen Stapel Papier unter den Arm geklemmt, die ihn mit großen Augen anschaute. Er trat zu ihr auf den schmalen Korridor. Tuwja Schaj blieb im Sekretariat, und Rafi Elfandari ging hinein und machte die Tür hinter sich zu. Sie gingen zu einer ruhigen Stelle. Michael schaute schnell um die Ecke, es war kein Mensch zu sehen. Racheli lehnte sich an die Wand. Ihr Gesicht war blaß.
    »Ich möchte Sie etwas fragen«, sagte Michael leise.
    Sie wartete angespannt, sagte aber kein Wort.
    »Es geht um den Schlüssel zu Professor Kleins Postfach«, fuhr Michael mit gesenkter Stimme fort und schaute sich um. Noch immer war niemand zu sehen.
    Sie bückte sich und legte mit einer schnellen Bewegung den Stapel Papiere auf den Boden, dann lehnte sie sich wieder an die Wand.
    »Was ist mit dem Schlüssel?« flüsterte sie. Sie hob den Kopf, um ihn anzuschauen, er mußte den Kopf senken, um ihren Blick zu treffen.
    »Haben Sie in der letzten Zeit mal seine Post rausgenommen?«
    Sie schwieg einige Sekunden, dann nickte sie. »Ja, natürlich. Adina war ein paarmal nicht da, und da habe ich die Post herausgenommen.« Sie schaute sich ängstlich um. »Obwohl mir Adina das nicht aufgetragen hatte.«
    »Versuchen Sie sich bitte zu erinnern, ob er in der letzten Zeit ein Paket bekommen hat, eine Benachrichtigung von der Post, daß er ein Paket abholen solle«, sagte Michael.
    Wieder schwieg sie einen Moment, bevor sie sagte: »Ich erinnere mich nicht, wirklich nicht, denn ich habe die Post auf Adinas Tisch gelegt, ich habe sie mir nicht genau angeschaut.«
    Michael deutete auf eine Bank und lächelte, als er sagte: »Kommen Sie, setzen wir uns dort ein bißchen hin.«
    Sie hob ihre Unterlagen auf und folgte ihm. Sie ließ sich auf die Bank fallen, als wäre sie plötzlich vollkommen kraftlos. Er nahm neben ihr Platz.
    »Denken Sie gut nach, versuchen Sie sich zu erinnern. Haben Sie jemandem den Schlüssel gegeben?« Er merkte selbst, wie flehend seine Stimme klang. Sie blickte ihn erstaunt an. Dann wurde sie rot und sagte mit klarer Stimme: »Daran erinnere ich mich nun ganz genau. Vor ungefähr zwei Wochen, nein, vor drei Wochen, das kann ich leicht nachprüfen, hat Professor Tirosch mich zweimal um den Schlüssel gebeten, an zwei Tagen hintereinander, weil er zusammen mit Professor Klein einen

Weitere Kostenlose Bücher