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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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ewig gebraucht und mich ständig versprochen. Vorlesen ist eine Sache, frei sprechen eine andere. Ich traue mir das nicht zu.«
    Rilke schlug mit der Hand auf den Schaum, daß es spritzte.
    »Wolltest du nicht lauter Sachen machen, vor denen du Angst hast? Gesungen hast du doch auch!«
    Ich konnte ihm nicht sagen, daß ich es nur für ihn getan hatte. Weil ich mir so gewünscht hatte, daß die Musik etwas wäre, das uns miteinander verbindet. Damals hatte die Liebe mir Flügel verliehen. Aber noch mal würde ich eine solche Blamage nicht überstehen.
    »Du mußt wissen, was du tust«, sagte Rilke, »auf jeden Fall muß Geld ins Haus, wir sind völlig pleite.«
    Ich saugte schuldbewußt an meinem Strohhalm, bis der letzte Tropfen verschwunden war und ein obszönes Geräusch ertönte. Immerhin, er hatte »wir« gesagt. Er betrachtete uns also noch immer als zusammengehörig.
    Das war viel wichtiger als ein Job. Trotzdem war mir klar, daß ich was unternehmen mußte.
    Wir stiegen aus der Wanne, trockneten uns gegenseitig ab und betrachteten uns im Spiegel.
    »Ein schönes Paar«, bemerkte Rilke.

    »Ein ungleiches Paar«, verbesserte ich.
    »Ja, aber trotzdem schön.«
    Rilke spielte mit der Zunge an meinem Ohr, seine Hände glitten über meinen Rücken und krallten sich in meinen Po. In Sekundenschnelle hatte er eine Erektion.
    Er drängte mich gegen die Tür, stemmte mich ein Stück hoch und wenig später dröhnte die Tür rhythmisch gegen den Rahmen.
    »Himmel noch mal«, beschwerte sich Hartmann, als wir aus dem Bad kamen, »müßt ihr beim Rammeln immer so einen verdammten Lärm machen?«

    »Ich geh nicht mit dir. Ich bin sauer auf dich.«

    Mit beleidigter Miene hockte Jonas auf einer Mauer vor dem Kindergarten und weigerte sich, mich anzusehen.
    Ich kniete mich vor ihn. »Was ist los, Schätzchen, warum bist du sauer auf mich?«
    »Ich bin nicht mehr dein Schätzchen.«
    »Und warum nicht?«
    »Rilke ist dein Schätzchen. Den hast du viel lieber als mich.«
    Ich wollte ihn umarmen, er schob mich weg. Ich erklärte ihm, daß die Liebe zu einem Mann eine ganz andere Liebe sei als die zu einem Sohn. Daß meine Liebe zu Rilke nichts wegnähme von meiner Liebe zu ihm. Es half nichts.
    »Du sollst endlich heimkommen. Eine Mama, die nicht bei ihren Kindern wohnt, ist keine Mama.«
    »Wer sagt das?«
    »Ich sag das.« Er machte eine Pause. »Und die Mama von Goofy.«

    Wiltrud! Die hatte es nötig.
    »Und wie ist das mit den Papas? Ist Goofys Papa zum Beispiel ein richtiger Papa?«
    »Klar!«
    »Aber der ist ganz oft weg von zu Hause, wegen seiner Arbeit. Findest du das o. k.?«
    Jonas war verwirrt. Irgendwo in seinem Kopf geisterte die Vorstellung, daß Mamas und Papas unterschiedliche Jobs hatten. Und der Mama-Job fand seiner Erfahrung nach zu Hause statt, da interessierten ihn fünfundzwanzig Jahre Frauenbewegung nicht. Klar, lange genug hatte ich ja selbst so gedacht.
    »Und was machen wir jetzt? Ich kann dich ja nicht allein hier sitzen lassen.«
    Jonas schwieg trotzig und malte mit der Schuhspitze Kreise aufs Straßenpflaster.
    »Wollten wir nicht ins Vogelmuseum gehen?« erinnerte ich ihn.
    »Das heißt Vögelmuseum.«
    »Wer hat dir denn das beigebracht?«
    »Rilke.«
    Ich mußte grinsen. »Einigen wir uns auf ornithologisches Museum, in Ordnung?«
    Er nickte, rutschte von der Mauer und ging schweigend neben mir her mit zum Auto.
    »Aber ich bin immer noch sauer auf dich«, stellte er klar, bevor er einstieg.

    Es war so ekelhaft. Ich putzte seit kurzem in einer Berufsschule, und in den Klassenräumen sah es jeden Tag aus wie auf einer Müllkippe.

    Auf den Tischen lagen angefressene Brote, Apfelreste und ausgespuckte Kirschkerne; vom Boden entfernte ich festgetretene Kaugummis und verkohlte Kippen. An den Wänden fanden sich ständig neue, mit Lippenstift gemalte Graffiti, die kaum abgingen. Die Klos sahen auch nicht besser aus, ich schrubbte mit zwei Paar Gummihandschuhen übereinander und angehaltenem Atem.
    Wäre ich doch bei der Bank geblieben und hätte nicht in einem Anfall von Größenwahn Herrn Hübner meinen Job vor die Füße geschmissen! Die Arbeit bei CALL YOUR BANK erschien mir rückblickend wie das Paradies, von der Bezahlung ganz zu schweigen.
    Ich schämte mich so für meinen Putzjob, daß ich Rilke und die Jungs angelogen hatte. Ich hatte behauptet, ich würde in einer Kneipe aushelfen. Trotzdem war ich froh, daß ich wenigstens wieder was zum Haushalt beisteuern konnte.
    Nach drei Wochen

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