Am Anfang war der Tod
durchsuchte die Schränke und sämtliche Stauräume. Zur Sicherheit machte er einen zweiten Rundgang durch das Boot. Ergebnislos.
Dennoch hatte er das untrügliche Gefühl, dass jemand an Bord gewesen war.
Nachdenklich blieb er vor dem kleinen Schreibtisch stehen, der mustergültig aufgeräumt war. Nur sein Laptop und ein kleiner Drucker hatten darauf Platz. In den Schubladen bewahrte er Unterlagen von den Fällen auf, die er gerade bearbeitete. Er öffnete die Schubfächer und stellte fest, dass alles an Ort und Stelle war. Der Computer war ausgeschaltet – so wie er ihn verlassen hatte.
Alles schien in Ordnung zu sein …
Aber eben nicht wie sonst.
Er vergewisserte sich, dass die Kabinentür abgeschlossen war. Dann schob er noch den Riegel vor. Er zog sich aus bis auf die Jeans mit den abgeschnittenen Beinen und setzte sich vor den Computer, wo er noch einmal die alten Dateien aufrief, die er wieder und wieder studiert hatte. Er zögerte. Plötzlich hatte er den Eindruck, dass sich jemand auch an seinem Computer zu schaffen gemacht hatte. Doch auch hier war alles unverändert.
Er ging hinaus auf Deck und ließ seinen Blick über die Pier und die Reihe der Boote wandern. Nichts Ungewöhnliches war zu sehen. In Nicks Bar brannten noch die Lichter.
Obwohl er barfuß war und nur kurze Hosen trug, sprang er an Land und ging die wenigen Meter hinüber zur Bar. Die Tür stand offen, obwohl das Schild bereits „Geschlossen“ verkündete. Nick stand hinter dem Tresen und polierte die alte Holztheke. An den Tischen saßen nur noch ein paar Gäste, die ihren Kaffee tranken. Wenn seine Besucher genug gehabt hatten, schenkte er ihnen keinen Alkohol mehr aus. Das hatte er sich zur Regel gemacht. Er lehnte es ab, die Verantwortung für betrunkene Autofahrer zu übernehmen. Die letzten Takte eines alten John-Denver-Songs klangen aus der Musikbox, während Jake auf Nick zusteuerte.
„Hi, Jake. Was kann ich für Sie tun?“ fragte Nick, überrascht, ihn zu sehen. Er legte die Stirn in Falten und meinte scherzhaft: „Kein Hemd und keine Schuhe. Sie ignorieren die Gesetze von Florida.“
„Ich weiß, tut mir Leid“, entgegnete Jake. „Nick, ich wollte Sie etwas fragen. Der Zweitschlüssel, den ich Ihnen gegeben habe – haben Sie ihn aus irgendeinem Grund heute Abend benutzt?“
Nick schüttelte den Kopf. „Nein. Hier war ziemlich viel los. Ich bin keine Minute vor die Tür gekommen.“
„Ich frage Sie nur ungern – aber Sie bewahren ihn doch bestimmt an einem sicheren Platz auf?“
„Selbstverständlich!“
„Hier in der Bar könnte niemand in seinen Besitz gelangen?“
Nick warf einen Blick durchs Lokal. „He, Leute!“ rief er den späten Gästen zu. „Danke für euren Besuch, aber jetzt wirds Zeit zu gehen.“
Jake wartete, während Nick die Gäste hinauskomplimentierte. Nachdem er die Tür verschlossen hatte, forderte er Jake auf: „Kommen Sie mit. Ich werde Ihnen zeigen, dass der Schlüssel genau da ist, wo ich ihn hingelegt habe.“
Nick führte ihn durch das Büro ins Wohnzimmer. Von draußen fiel ein schwacher Lichtschein in den Raum und zeichnete weiche Schatten an die Wand.
„Etwas auf dem Boot nicht in Ordnung?“ fragte Nick.
„Doch, doch, eigentlich schon.“
„Warten Sie, ich hole ihn“, sagte Nick. Er war nicht der Typ, der neugierig nachhakte, selbst wenn die Fragen angebracht waren.
„Ich hatte nur das Gefühl, dass jemand auf der
Gwendolyn
war“, erklärte Jake. „Ich könnte schwören, dass ich abgeschlossen habe, als ich gegangen bin, aber als ich zurückkam, war die Tür offen. Es ist nichts verschwunden – vielleicht meine ich auch nur, dass jemand da war. Vielleicht bilde ich mir ja auch nur ein, abgeschlossen zu haben.“ Sein Tonfall verriet, dass er selbst nicht daran glaubte. „Ich habe noch Licht in der Bar gesehen und mir gedacht, dass ich Sie nach dem Schlüssel fragen könnte.“
„Kein Problem. Wenn Ihnen lieber ist, dass ich ihn nicht behalte …“
„Keineswegs. Ich bin sogar froh, dass Sie ihn haben – wenn Handwerker kommen oder ein Paket. Ich möchte nur sicher gehen, dass er noch da ist.“
„Ganz bestimmt. In den Privaträumen haben meine Gäste nichts zu suchen. Aber Sie haben Recht, es kann nichts schaden, mal nachzuschauen. Bedienen Sie sich, falls Sie einen Drink oder einen Kaffee möchten. Sie wissen ja, wo die Küche ist.“
„Danke.“
Nick verschwand in einem Flur auf der rechten Seite.
Ashley träumte. Es war kein angenehmer Traum.
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