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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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als Zeichen deutete, dass Seine Ehren mit ihm zu konferieren wünsche. Er beugte sich über den Richtertisch; sie flüsterten. Es sah so aus, als wäre alles zu Ende.
    Paul Goodman erhob sich. Er stand neben dem Verteidigertisch. «Ich bitte um das Wort, Euer Ehren.»
    Der Richter nickte gnädig.
    «Um dem Ehrenwerten Gerichtshof Zeit zu sparen, spreche ich nicht nur für mich, sondern auch für meine drei Kollegen, die je einen der jungen Beklagten vertreten. Euer Ehren, es erscheint mir, dass die Empfehlung des Staates als Strafe gedacht ist und nicht als Rückversicherung, dass die Beklagten zu ihrem Prozess auch vor Gericht erscheinen. Diese jungen Leute sind keine Berufsverbrecher; sie sind nicht vorbestraft. Sie sind am College immatrikuliert; wenn sie gehindert werden, an den Vorlesungen teilzunehmen, können sie ihre Kurse nicht abschließen. Sie bis zur Verhandlung in Haft zu belassen, entspricht einer Bestrafung, ehe ihre Schuld bewiesen ist.»
    Der Richter nickte gütig. «Es ist immer eine Bestrafung, nicht wahr?», sagte er sanft. «Ein Arbeiter büßt den Lohn ein, ein Geschäftsinhaber muss manchmal seinen Laden oder sein Büro schließen. Und in jedem Fall leidet die Familie.»
    «Wenn Sie erlauben, Euer Ehren», fuhr Goodman fort, «spricht das doch umso mehr dafür, diese jungen Leute nicht unnötig in Haft zu halten, zumal die Gefahr ihres Nichterscheinens bei der Verhandlung nur gering ist.»
    «Aber die Anklage lautet auf Mord, Herr Verteidiger.»
    «Ich bin mir bewusst, dass es im Staat Massachusetts die übliche Praxis ist, des Mordes angeklagten Inhaftierten keine Kaution zu gewähren. Aber meines Wissens entspringt die Tendenz –»
    «Sagten Sie Tendenz?»
    «Ja, Euer Ehren. Ich sagte, dass die Tendenz – in derartigen Fällen eine Kaution zu verweigern – dem Gedanken entspringt, dass Geld an Wichtigkeit verliert, wenn das Leben eines Menschen auf dem Spiel steht. Da aber nun der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Todesstrafe für eine grausame und unübliche Strafe erklärt hat, entfällt diese Befürchtung.»
    «Andererseits», gab der Richter zu bedenken, «neigen diese jungen Leute dazu – und ich habe sehr viele Erfahrungen mit ihnen – ja, sie neigen dazu, Geld wenig wichtig zu nehmen. Wenn ich eine Kaution gewähren würde, auch eine sehr hohe Kaution, die ihre Eltern möglicherweise stellen könnten, besteht durchaus die Möglichkeit – und ich spreche aus Erfahrung –, dass sie nicht zur Verhandlung erscheinen, weil sie die ihren Eltern dadurch entstehenden schweren finanziellen Verluste gering schätzen. Nein, Counselor, ich glaube, ich schließe mich der Empfehlung des Staates an und beschließe, dass sie ohne Kaution in Haft verbleiben.»
    23
    Als der Rabbi am Montagmorgen zu seiner Vorlesung kam, hing die Fahne auf dem Verwaltungsgebäude des Windemere College auf halbmast. Der Unterricht fiel aus, und viele Studenten und Lehrer waren schon wieder gegangen. Mittags sollte in der Kapelle ein Gedenkgottesdienst für Professor Hendryx abgehalten werden. Die noch anwesenden Studenten standen alle in der Halle herum.
    Der Rabbi überlegte noch, ob er nach Hause fahren oder an der Trauerfeier teilnehmen sollte, als ihn Professor Place, den er nur flüchtig kannte, zu einer Tasse Kaffee einlud.
    Der Rabbi war zum ersten Mal in der Cafeteria der Lehrer. Er sah sich interessiert um. Es war ein kleiner Raum mit zwei großen Tischen, beide waren etwa zur Hälfte besetzt. Es fiel ihm auf, dass sich die älteren Lehrer an den einen, die jüngeren an den anderen Tisch gesetzt hatten. Professor Place ging zur großen Kaffeemaschine und füllte eine Tasse für den Rabbi.
    «Zehn Cents pro Tasse.» Er warf ein Fünfundzwanzig-Cent-Stück in einen Karton. «Es geht auf Treu und Glauben. Nein, ich hab schon für Sie bezahlt, sogar ein bisschen zu viel», wehrte er ab, als der Rabbi nach Kleingeld suchte. «Manchmal vergisst man’s auch. Unser Kaffee-Ausschuss berichtet, dass manchmal Pennies, Knöpfe und nicht unterschriebene Schuldscheine gefunden werden. Vermutlich ist das auf Ihrem Sammelteller ganz ähnlich.»
    «Wir geben keinen Sammelteller herum. Unsere Regeln verbieten es, am Sabbat Geld bei sich zu haben.»
    «Wie lobenswert! Unsere Methode, bei jedem Gottesdienst zu sammeln, riecht ein bisschen stark nach einer Geschäftstransaktion, eine Art quid pro quo mit der Gottheit.» Er führte den Rabbi zu einem der Tische. «Darf ich Sie mit einigen Ihrer Kollegen bekannt

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