Am Dienstag sah der Rabbi rot
zu. Der Rabbi spürte das und fuhr etwas weniger vehement fort: «Unsere Religion ist sehr praktisch und fordert ein praktisches Leben. Auf der Welt geschehen so viele Ungerechtigkeiten, und wenn wir nun auszögen, sie wieder gutzumachen – selbst wenn wir das könnten –, wann sollten wir denn unser Leben leben? Und können wir denn sicher sein, dass wir im Recht sind? Und dass unsere Methode der Reform die Dinge auch bessert? Sogar bei einer so kleinen Sache wie dem Sitzstreik gab es Meinungsverschiedenheiten. Ich, zum Beispiel, war weder überzeugt, dass Präsident Macomber im Unrecht war, noch dass die Methode, ihn zu überzeugen, richtig gewählt war. Denken Sie bitte an das, was ich über den Unterschied unserer Art von Auserwähltsein und der anderer Völker gesagt habe. Unsere Religion verlangt von uns, unser Leben in Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit zu leben, und nicht, dass wir dies anderen aufzwingen.»
«Aber was ist dann mit Israel?», rief Henry Luftig laut. «Warum können sie dort die Araber nicht gerecht behandeln?»
«Verglichen mit wem?», fragte der Rabbi sofort zurück.
«Ich verstehe Sie nicht, Rabbi.»
«Es ist ganz einfach, Mr. Luftig. Wir kritisieren die Juden und das Judentum durch einen verunglimpfenden Vergleich mit irgendeinem Ideal. Aber um gerecht zu sein, müssen wir sie mit etwas Wirklichem und nicht etwas Imaginärem vergleichen. Darum frage ich Sie, welche andere Nation ist besser oder auch nur gleich gut mit ihren Feinden umgegangen wie Israel mit den Arabern?»
«Na, und wie haben die Vereinigten Staaten Deutschland und Japan behandelt?»
«Aber das war nach der Unterzeichnung eines Friedensvertrags; nicht während das andere Land sich noch als im Krieg befindlich betrachtete.»
«Ja, gut, aber alle sagen, sie sollten nicht so hartnäckig sein.»
Der Rabbi grinste voller Ingrimm. «In unserer Religion gibt es aber ein Verbot des Selbstmords.»
«Aber die Palästinenser sind aus ihrer Heimat vertrieben worden.»
«Sie haben sie verlassen !», rief Mark Leventhal quer durch den Raum. Wie Mazelman stammte er aus einer konservativen Familie und hatte Religionsunterricht bekommen. «Die Araber haben ihnen versprochen, sie könnten wieder nach Hause zurückkehren, wenn sie die Juden ins Meer getrieben hätten. Sie haben ihnen auch das Eigentum der Juden versprochen.»
«Das glaube ich nicht.»
«Es stimmt aber.»
Lillian Dushkin sagte mit schriller Stimme: «Ein Junge, den ich kenne, hat mir erzählt, es gäbe in Israel eine Menge Juden, die denken, die Juden hätten kein Recht, dort zu sein, bis der Messias kommt.»
«Ach nee? Was tun die denn da?»
Und weiter ging die Diskussion, aber diesmal machte der Rabbi keinen Versuch, sie zu unterbrechen. Er saß auf dem Schreibtischrand, hörte ihnen unbestimmt ärgerlich zu und kam nicht dagegen an, dass es ihn gelegentlich doch interessierte. Dann klingelte aber die Glocke, und die Studenten sammelten ihre Hefte ein.
«Einen Augenblick noch», rief er.
Sie warteten.
«Sie haben offenbar viele Fragen, die in enger oder loser Verbindung zum Thema der Vorlesung stehen. Ich reserviere den nächsten Freitag, vielleicht auch die folgenden Freitage, sie zu behandeln. Sie können fragen, was Sie wollen, und ich werde mir große Mühe geben, alles zu beantworten.»
«Meinen Sie schriftlich?»
«Schriftlich oder mündlich. Wenn Sie wollen, können Sie sie auch an die Tafel schreiben.»
Als er die breite Treppe zur Straße hinunterging, schlossen sich ihm Luftig und Shacter an, die bisher am Geländer gelehnt hatten.
«Das war heute dufte, Rabbi», sagte Luftig, und sein schmales Gesicht leuchtete.
Er sah ihn an. «Finden Sie? Haben Sie das Gefühl, etwas gelernt zu haben?»
Luftig sah überrascht und verletzt aus. «Na, klar doch.»
«Was zum Beispiel?»
«Was speziell, meinen Sie? Na, ich wusste nicht, dass es Juden gibt, die glauben, sie müssten auf den Messias warten, ehe sie in Israel leben dürfen. Und dann, dass die Araber das jüdische Eigentum an sich bringen wollen. Und – ach ’ne Menge eben.»
«Gut. Aber erst mal dies: Das mit dem Messias ist falsch. Der Einwand betrifft nicht das Leben in Israel, sondern die Errichtung eines Staates. Und im Übrigen: Wenn Sie ein Palaver abhalten wollen, warum machen Sie sich dann die Mühe, ins College zu gehen und Studiengebühren zu bezahlen?»
«Aber das hat doch Spaß gemacht», wandte Shacter ein.
«Es ist nicht meine oder des College Aufgabe, Sie zu
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