Am Dienstag sah der Rabbi rot
unbewusst fiel er in den talmudischen Singsang – «dann müssen Sie nicht nur annehmen, dass Mrs. O’Rourke gelogen hat, sondern auch, dass die Büste nicht durch die Explosion der Bombe zu Fall gebracht worden ist. Wenn Sie aber glauben, dass dem Gerichtsarzt ein Fehler unterlaufen ist, und Mrs. O’Rourke die Wahrheit gesagt hat, dann ist es möglich, dass Hendryx mittelbar durch die Bombe getötet wurde. Aber das ist nicht wahrscheinlich. So haben Sie nun eine Unmöglichkeit auf der einen und eine Unwahrscheinlichkeit auf der anderen Seite.»
«Ich verstehe, wie Sie das meinen, dass die beiden sich nicht die Waage halten.» Ames rutschte lachend auf dem Stuhl herum. «Ihr Gesinge –»
«Oh, hab ich gesungen? Das ist mir nicht aufgegangen. Es ist die übliche Begleitung zu talmudischem Argumentieren. Ich glaube, ich mache das, ohne dass es mir bewusst wird.»
«Ich verstehe.» Ames kehrte zum Thema zurück. «Natürlich, Sie haben Recht damit, dass wir im besten Fall mit einer Unwahrscheinlichkeit enden. Das offene Buch und der am falschen Platz befindliche Hocker sind eine Sache von ein, zwei Minuten. Sie können sich zum Lesen in einem Sessel niederlassen, sich erinnern, dass Sie noch etwas zu erledigen haben, und das Buch aus der Hand legen, ohne eine Zeile gelesen zu haben. Aber die Pfeife und die vielen Streichhölzer …»
Der Rabbi, der die Wanderung fortgesetzt hatte, blieb nun stehen. «Rauchen Sie?»
«Nein, vielen Dank.»
«Oh, so hab ich es nicht gemeint. Ich wollte nur wissen, ob Sie rauchen.»
«Nein», sagte Ames, «nie, auch früher nicht. Ich hatte als Kind Asthma und hab nie damit angefangen.»
«Ich habe geraucht, aber aufgehört, als es mir zu schwer wurde, während der Woche zu rauchen und es am Sabbat nicht zu dürfen. Während meiner College-Zeit hab ich Pfeife geraucht. Als Student konnte man dem kaum widerstehen, wenigstens nicht zu meiner Zeit.»
«Das war in meiner Zeit auch so.»
«Ich hab’s mir allerdings nie richtig angewöhnt», fuhr der Rabbi fort. «Das taten nur die wenigsten Studenten. Es ist ein Trick dabei, und lange ehe man den gelernt hat, hat man sich die Zunge verbrannt und aufgegeben. Wenn ich mich also in den Sessel gesetzt und eine Pfeife geraucht hätte, ergäben die vielen Streichhölzer, die Sie gefunden haben, einen Sinn. Bis man es kann, geht einem andauernd die Pfeife aus, und man muss sie wieder neu anzünden. Man macht aus seinem Mund einen Blasebalg und zieht und pufft – und sie geht trotzdem aus. Aber nicht bei Hendryx. Der konnte Pfeife rauchen und genoss es. Ich habe ihm dabei zugesehen und ihn fast beneidet. Er hat sie angezündet – mit nie mehr als einem Streichholz –, hat den Tabak runtergedrückt und sie dann in Gang gehalten, absolut mühelos.»
«Was wollen Sie damit sagen, Rabbi?»
«Wenn jemand sechs Streichhölzer brauchte, um die Pfeife anzuzünden und in Gang zu halten, dann war es nicht Professor Hendryx.»
«Sie unterstellen also, dass jemand in die Wohnung kam und eine seiner Pfeifen rauchte, um den Anschein zu erwecken, Hendryx sei zurückgekommen, nachdem die Putzfrau schon gegangen war?»
Der Rabbi nickte.
«Aber das kann dann nur bedeuten, dass die betreffende Person vortäuschen wollte, Hendryx sei zu einer Zeit noch am Leben gewesen, während er bereits tot war.»
Wiederum stimmte der Rabbi zu.
«Das aber bedeutet, dass der Pfeifenraucher sich selbst ein Alibi geschaffen hat, weil er Hendryx ermordet hat.»
«Wenigstens kommen wir so zu einer dritten Möglichkeit», sagte der Rabbi mit dem Anflug eines Lächelns.
«Wieso eine dritte?»
«Sie sagten zu Anfang, es gäbe nur zwei: Entweder irrte sich der Gerichtsarzt oder die Putzfrau. Dies aber deutet darauf hin, dass beide Recht hatten, dass der Arzt die richtige Zeit angegeben hat und die Putzfrau die Wahrheit sagt.»
Ames stimmte ihm zögernd zu. Dann kam ihm ein Gedanke. «Aber nehmen wir mal an, die Fingerabdrücke auf der Pfeife stellen sich als die von Hendryx heraus?»
«Das wäre nur zu erwarten. Seine Abdrücke müssten auf all seinen Pfeifen sein. Der Mörder musste nur vorsichtig sein und sie nicht verwischen. Die Putzfrau hat sie bestimmt nicht abgestaubt. Eine Pfeife ist ebenso persönlich wie eine Zahnbürste.»
Bradford Ames lehnte sich zurück. «Wissen Sie, Rabbi, dass Sie ein sehr schlaues Kind sind? So, und nun erzählen Sie mir noch, wie der Mörder in die Wohnung gekommen ist.»
Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Das weiß ich
Weitere Kostenlose Bücher