Am Dienstag sah der Rabbi rot
Selzer, und wenn Sie den nicht befolgen, werden Sie sich hinterher noch lange Vorwürfe machen.›
Tja, und da bin ich unruhig geworden. Wenn man bedenkt: ein Mann wie Becker, ein großer Geschäftsmann, was der schon alles mit Anwälten zu tun gehabt hat! Ich meine, der weiß doch Bescheid. Und dann denke ich: Vielleicht verpasse ich doch eine Chance. Und warum hab ich eigentlich Angst vor Paul Goodman? Ich meine, ich bezahle ihn doch, oder nicht? Ich bin kein Wohlfahrtsfall. Na, als ich nach Hause gekommen bin, hab ich ihn angerufen. Und um eine lange Geschichte kurz zu machen; er stellt den Antrag. Und was passiert? Dank unserem Rabbi ist Abner oben und holt den verpassten Schlaf nach.»
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«Nur eine Frage, Rabbi», sagte Bradford Ames und lächelte liebenswürdig. Sie saßen wieder in dem winzigen College-Büro des Rabbi. «Warum haben Sie Sergeant Schroeder nicht erzählt, dass Sie am Freitag vorzeitig aus Ihrer Vorlesung gegangen sind?»
Rabbi Small wurde rot. «Vermutlich, weil es mir peinlich war. Er hat auch nicht gefragt, um welche Zeit ich aus dem Hörsaal gekommen bin, sondern nur, wann ich das Gebäude verlassen habe. Sicher, ich hätte es erwähnen sollen, aber Lanigan war dabei und meine Frau, und ich habe mich geniert zuzugeben, dass ich Ärger mit den Studenten gehabt hatte.»
«Gut, dann frage ich das jetzt, Rabbi. Wann haben Sie den Hörsaal verlassen?»
«Es kann kaum später als zehn oder Viertel nach eins gewesen sein», antwortete der Rabbi prompt. «Und ich bin sofort hierher gekommen.»
«War Hendryx hier?»
«Er saß oder vielmehr lag in eben diesem Stuhl.»
«Und Sie sind bis kurz nach zwei Uhr hier geblieben?»
«Hm.»
«Sie saßen hier etwa eine Stunde lang zusammen und haben ein freundschaftliches Gespräch geführt?»
«Ja, so war es, Mr. Ames.»
«War es freundschaftlich, Rabbi? Haben Sie ihn als Freund betrachtet?»
«Nein, das nicht gerade», sagte der Rabbi. «Wir teilten uns dieses Büro, mehr war nicht dran.»
«Aber Sie haben sich immerhin eine Stunde lang unterhalten», gab Ames zu bedenken. «Worüber, wenn ich fragen darf?»
«Ach, zum größten Teil über Erziehungstheorien.» Der Rabbi errötete schon wieder. «Anfangs wollte ich nur abwarten, ob einer aus der Klasse käme, um sich für ihr Benehmen zu entschuldigen. Und dann bin ich geblieben, weil ich – ja, weil ich schließlich für die Zeit bezahlt wurde.»
Ames sah den Rabbi neugierig an. «Eine erfreuliche Einstellung, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten. Und dann, auf der Heimfahrt, haben Sie unterwegs angehalten, eine Tasse Kaffee getrunken und sich in ein Buch vertieft. Sie sind erst ziemlich spät nach Hause gekommen.»
«Ja, das stimmt», bestätigte der Rabbi.
Ames kicherte und lachte dann laut auf. «Ich glaube Ihnen, Rabbi. Und wissen Sie warum? Weil es eine so verdammt unwahrscheinliche Erklärung ist, dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass Sie sie erfunden haben.»
Der Rabbi grinste.
«Haben Sie jetzt alles erzählt?», fragte Ames und zog ihn ein bisschen auf. «Halten Sie nichts zurück, weil es Ihnen peinlich sein könnte oder Sie es für unwichtig erachten?»
«Wie soll ich das wissen?», fragte der Rabbi. «Wie soll ich entscheiden, was wichtig ist und was nicht, wenn ich nicht weiß, in welche Richtung sich Ihre Gedanken bewegen oder in welchem Stadium sich Ihre Ermittlung befindet.»
Ames nickte. Sollte er es ihm sagen? Normalerweise würde er nie einem Außenseiter die Resultate einer nicht abgeschlossenen Ermittlung anvertrauen, aber, andererseits, der Rabbi konnte vielleicht helfen. Er war klug und feinfühlig und hatte fast eine Stunde lang mit Hendryx kurz vor dessen Tod gesprochen. Wenn er wusste, wonach sie suchten, erinnerte er sich vielleicht an eine Bemerkung, die wichtig sein konnte. Sergeant Schroeder würde zweifellos nichts davon halten, wahrscheinlich der District Attorney auch nicht. Und das gerade gab den Ausschlag. Er gewann Gefallen an seiner Idee und erzählte bis in alle Einzelheiten, was sie bisher entdeckt hatten. «Sehen Sie», sagte er dann abschließend, «am Ende bleiben nur zwei Möglichkeiten übrig: Entweder lügt Mrs. O’Rourke, oder der Gerichtsarzt hat einen Fehler gemacht.»
Der Rabbi saß lange still, dann stand er auf, umkreiste den Schreibtisch und ging auf und ab. «Die beiden halten sich nicht die Waage», sagte er endlich. «Sie haben nicht das gleiche Gewicht. Denn wenn Sie dem Gerichtsarzt Glauben schenken –» ganz
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