Am Dienstag sah der Rabbi rot
kugelsicheren Glas.
«Wie in einer Bank», stellte er fest.
Der Wärter lachte automatisch. Die Bemerkung wurde Dutzende von Malen jeden Tag gemacht. «Ja, das ist ja auch ’ne Art Bank. Wenn Sie jetzt bitte die Taschen ausleeren und an der Scheibe vorbeigehen möchten.»
Der Rabbi legte Brieftasche, Kleingeld und Armbanduhr auf ein Häufchen und trat unter einen Bogen.
«Nun kommen Sie zurück.»
Die Nadel an der Skala bewegte sich.
«Sie haben immer noch was aus Metall an sich.»
Er klopfte seine Taschen ab, und als er dann die Hand in die Seitentasche seines Jacketts schob, spürte er die aufgeplatzte Naht im Futter. Er hatte immer wieder vergessen, Miriam zu bitten, sie zuzunähen. Er förderte einen Bleistiftstummel ans Licht. «Der ist ins Futter gerutscht. Ich hab das ganz vergessen.»
«Schon gut. Gehen Sie nochmal durch. Jetzt ist es okay.»
«Meinen Sie, der Bleistift gibt einen Ausschlag?»
«Nein, die Metallhülse vom Radiergummi», sagte der Wärter.
Rabbi Small sammelte seine Sachen ein, wurde durch einen kurzen Flur und eine schwere Tür aus Stahlbalken gewiesen, die sich klickend hinter ihm schloss. «Erste Tür links», rief der Wärter hinter ihm her. «Warten Sie dort.»
Es war ein kleiner Raum, der nur mit ein paar Stühlen und einem Tisch möbliert war. Während er wartete, fragte sich der Rabbi, was er sagen sollte. Wusste Fine, was am Freitagabend in der Synagoge vorgefallen war? Sollte er erwähnen, dass Ames die Anregung zu seinem Besuch hier gegeben hatte? Die Tür öffnete sich, und Roger Fine kam herein. Ihm folgte ein schwarzer Wärter mittleren Alters.
«Ich muss hier warten, Professor Fine», sagte der Mann, «aber Sie können die Tür zumachen.»
«Okay, John, danke. Ach, das ist übrigens Rabbi Small. Er unterrichtet auch in Windemere. John Jackson, Rabbi. Sein Sohn ist Student am College.»
«Tag, Rabbi», sagte der Wärter und zog die Tür hinter sich zu.
«Sein Sohn ist einer von denen, die ich im Sommer unterrichtet und ins College bekommen habe», sagte Fine. «Ein netter Kerl.»
«Ich hab von Ihrem Programm gehört. Ich kann mir denken, dass das viel Mut erfordert hat.»
«Nicht Mut, Rabbi, Teilnahme.» Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und hängte den Stock an den Tischrand. Er schien dünner zu sein als bei ihrer letzten Begegnung, und sein Gesicht war hart.
«Und wie hat es sich nun gemacht?», fragte der Rabbi. «Haben Ihre Schützlinge sich bewährt?»
Fine zuckte die Achseln. «Manche ja, manche nicht so sehr. Aber Sie, Rabbi, haben sich doch mit dem Establishment angebiedert. Was haben denn die darüber zu sagen?»
Der Rabbi lachte kurz auf. «Anbiedern würde ich es nun bestimmt nicht nennen – es beschränkt sich auf eine gelegentliche Tasse Kaffee in der Cafeteria. Und dass sie das Establishment sind, war mir auch nicht aufgegangen, ich hielt sie für die älteren Lehrer. Aber ich habe von ihnen gehört, dass die Gruppe, die Sie unterrichteten, nicht die richtige Vorbereitung fürs College hatte, dass sie aus Roxbury kamen und die meisten schon seit Jahren aus der Schule waren.»
«Und was bedeutet das?», fragte Fine. «Die Erfahrung, sich im Ghetto durchzuschlagen, ist zehnmal mehr wert als ein Latein- oder Algebrakursus in der High School.»
«Gut möglich», sagte der Rabbi, «aber darum geht’s ja nicht, nicht wahr? Ein Algebrakurs mag im Ghetto wenig nützen, aber er ist wahrscheinlich eine notwendige Vorbereitung für Physik oder Chemie im College.»
«Genau darum haben wir sie ja auch im Sommer unterrichtet», sagte Fine hitzig.
«Und was konnten Sie im besten Fall dadurch erreichen? Wenn Sie mehrere Jahre der College-Vorbereitung in zwei Monaten aufholen konnten, dann ist unser höheres Schulsystem eine Farce. Wenn es das nicht ist, ist Ihr Projekt der Nachholkurse eine Farce, die nur dazu dient, die Leute in einen Studiengang zu bringen, dem sie dann nicht gewachsen sind.»
«Was soll das?»
«Was soll das?», wiederholte der Rabbi wie ein Echo.
«Ja, was soll das?» Fine lachte verächtlich. «Für was halten Sie Windemere? Oder jedes andere College? Es ist eine verknöcherte Institution – wie der Wahlmännerausschuss oder die britische Monarchie oder das Oberhaus. Heutzutage ist das College nur eine Institution zur Erhaltung des plutokratischen Klassensystems. Es soll dazu dienen …» Seine Stimme verlor sich, als er die Augen seines Besuchers starr an sich vorbeigerichtet sah. Er wandte sich um, folgte dem Blick des
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