Am Dienstag sah der Rabbi rot
zurückzuziehen.»
«Aber woher sollte Fine das wissen? Oder hat er es nach Ihrer Theorie auf gut Glück probiert?»
«Oh, wir wissen von anderen Mitgliedern seiner Abteilung, dass Hendryx sich dauernd über seine Putzfrau beklagt hat, auch darüber, dass sie immer die Tür offen ließ.»
Der Rabbi schwieg, und Ames wartete ein paar Sekunden, bevor er fortfuhr: «Damit haben wir alles: Gelegenheit, Motiv und Waffe – Letztere besonders typisch für den Tatverdächtigen. Wir haben uns also Fine geschnappt und ihn verhört. Natürlich hat er alles abgestritten und sich geweigert, über seine Unternehmungen an dem betreffenden Nachmittag Rechenschaft abzulegen.»
«Das ist doch sein gutes Recht, oder nicht?», fragte der Rabbi.
«Selbstverständlich. Aber warum sollte er sich weigern? Wenn er ein Alibi hat, braucht er es uns nur zu sagen. Wir würden es überprüfen, und wenn es einwandfrei ist, würden wir ihn entlassen. Aber wenn es kein sehr gutes Alibi ist, sagen wir, ein frisiertes Alibi, das er uns vor Gericht als Überraschung liefern will, sodass wir es vorher nicht prüfen können – derartiges könnte einem schlauen jungen Mann wie Fine schon einfallen –, tja, Rabbi, dann würden Sie ihm einen Gefallen tun, wenn Sie ihn von seiner Torheit überzeugten. Denn wir werden das Alibi zerpflücken, glauben Sie mir. Aber die Tatsache, dass er es probiert hat, könnte sich schlecht auf den Richter und das Strafmaß auswirken. Ich habe mit Winston darüber gesprochen.»
«Und was sagt er dazu?»
Ames lächelte. «Ach, Strafverteidiger geben nie was zu. Das gehört zum Spiel. Selbst wenn sie einlenken, geben sie nicht zu, dass ihr Mandant schuldig ist. Ich glaube nicht, dass Jerry sich auf ein frisiertes Alibi einlassen würde, aber wenn er sich dessen nicht ganz sicher wäre, könnte es doch sein.»
«Kann ich ihn besuchen?»
«Fine? Ich glaube schon. Ich würde es aber gern erst mit Jerry Winston absprechen. Ich rufe ihn morgen an, dann können Sie ihn am Dienstag besuchen.»
46
Sie war klein und dünn. Sie trug ein langes Kleid aus Baumwolle, das beinahe den Boden berührte. Es wurde unter den Brüsten zusammengehalten, und es war deutlich zu sehen, dass sie keinen Büstenhalter trug. Von ihrem Hals baumelte ein großes silbernes Kruzifix an einem Samtband. Das braune Haar war glatt heruntergekämmt und wurde von den Bügeln einer Nickelbrille aus dem Gesicht gehalten. Sie hatte große, dunkle Augen und war auf eine traurige, gedämpfte Weise recht anziehend.
«Rabbi Small?» Sie stand vor dem Hörsaal.
«Ja?»
«Ich bin – mein Name ist Kathy Dunlop, und ich wollte fragen, ob ich Sie ein paar Minuten sprechen kann?»
«Natürlich, Miss Dunlop.» Er sah sie forschend an.
«Es könnte doch ein bisschen länger als nur ein paar Minuten dauern. Ich dachte, wenn Sie Zeit hätten …»
«Aber selbstverständlich. Wollen Sie mit in mein Büro kommen?»
Sie nickte dankbar und folgte ihm. Er bot ihr den Besucherstuhl an, setzte sich dann hinter den Schreibtisch und wartete.
Sie spielte mit dem Kreuz auf ihrer Brust und fasste dann Mut. «Es ist so, Rabbi, meine Freundin – sie ist Christin wie ich. Sie geht nicht hier aufs College, aber ich hab ihr von Ihnen erzählt, ich meine, dass Sie ein Rabbi sind und hier eine Vorlesung halten. Und da hat sie mich gebeten, Sie mal zu fragen.»
«Ah, ja.»
«Ja, also, sie ist Christin, und sie ist in einen jüdischen Jungen verliebt.»
«Und sie möchten heiraten?», sagte der Rabbi prompt.
«Noch nicht sofort, verstehen Sie. Ich meine, sie liebt ihn, und er liebt sie. Sie weiß das ganz sicher. Ich meine, ich kenne die beiden, da gibt es wirklich keine Frage.»
«Gut», sagte er leise. «Ich verlasse mich auf Ihr Wort.»
«Ja, und nun wollte ich wissen, also, sie möchte das wissen, und ich sollte Sie fragen, ob es richtig wäre, dass sie den Glauben wechselt.»
«Sie will zum Judentum überwechseln?»
«Ja. Was muss sie dazu tun?»
Er lächelte. «Sie müsste mit einem Rabbi sprechen.»
Das Mädchen ließ das Kreuz aus der Hand fallen. «Natürlich, ich weiß schon, dass das ein Rabbi machen muss, aber was muss sie dabei tun?»
David Small lehnte sich zurück. «Das hängt davon ab, zu welchem Rabbi sie geht. Die meisten Rabbis werden ihr sagen, sie soll den Jungen aufgeben und sich einen ihres eigenen Glaubens suchen.»
«Sie meinen, der Rabbi würde es nicht tun?», fragte sie überrascht. «Aber das ist nicht fair; ich meine, wenn Sie überzeugt
Weitere Kostenlose Bücher