Am Ende bist du mein
weniger Minuten.
Vor der Eingangstür blieb sie stehen, spürte die letzten Sonnenstrahlen des Tages und stellte fest, dass sie es nichtschaffte, einfach so reinzuschneien. Es fühlte sich nicht mehr richtig an.
Seit sie von ihrer Adoption erfahren hatte, war das Haus ihr fremd geworden, und sie kam sich wie eine Besucherin vor. Als Kind war es ihr Heim gewesen, aber jetzt war es das nicht mehr. Sie drückte auf die Klingel.
Gleich darauf näherten sich eilige Schritte. Estelle. Adrianna atmete auf.
Mit gerunzelter Stirn öffnete Estelle die Tür und sah aus, als hätte sie mit einem lästigen Vertreter und sonst unwillkommenen Menschen gerechnet. Freunde und Verwandte kamen ihrer Meinung nach an die Hintertür, und auf den Rest legte sie keinen Wert.
Ihr graumeliertes Haar trug sie in einem festen Knoten. Eine andere Frisur hatte Adrianna an ihr nie gesehen. Auch an dem runden Gesicht hatte sich kaum etwas verändert, denn es war nahezu faltenfrei geblieben.
Als sie Adrianna sah, glättete sich Estelles Stirn, und ihre Augen leuchteten auf. «Du lieber Himmel», sagte sie. «Seit wann läutest du denn an der Vordertür. Ich dachte, da wäre jemand, der uns Zeitschriften andrehen will.»
Adrianna ließ sich in die ausgebreiteten Arme sinken. «Wie geht es dir?», fragte sie.
«Na, wie wohl? Ich bin so fit wie ein Turnschuh. Und jetzt komm rein, bevor du dir draußen noch was holst.»
Zwar war die Temperatur des Tages nur wenig gesunken, doch es wurde Abend, und für Estelle stand fest, dass man abends draußen krank wurde. Als Kind hatte Adrianna das Haus grundsätzlich nie ohne einen Pullover in der Hand verlassen, nur für alle Fälle. «Was führt dich denn hierher, Schätzchen?»
Adrianna betrat die Eingangshalle. «Ich bin gekommen, um Mom zu besuchen. Sie hat mich gestern angerufen.»
Die langen Jahre, in denen sie sich um ihre Mutter gesorgt hatte, ließen sich offenbar nicht so einfach abschütteln.
Estelle verdrehte die Augen. «Wäre vorgestern nicht mein freier Abend gewesen, wäre deine Mutter niemals in der Notaufnahme gelandet. Solche Mätzchen erlaubt sie sich nur, wenn ich nicht da bin.»
«Ja, ich weiß», seufzte Adrianna. «Wie fühlt sie sich?»
«Gut. Warum hat sie denn neulich dieses Theater gemacht?»
«Weil ich wieder mal über meine Adoption reden wollte.»
Estelle tätschelte ihren Arm. «Ach, Schätzchen», sagte sie. «Ich mag ja mit deinen Eltern nicht immer einer Meinung gewesen sein, aber dass sie dich geliebt haben, weiß ich. Sie wollten dich einfach nicht enttäuschen.»
«Ja, klar.» Aber sie hatten es getan. Tief sogar.
«Hätte ich etwas von der Adoption gewusst, hätte ich sicher einen Weg gefunden, es dir zu erzählen.»
«Das weiß ich, Estelle.» Adrianna musste sich zwingen, ihre Stimme ruhig zu halten.
«Na, jedenfalls geht es deiner Mutter wieder besser», sagte Estelle betont munter. «Sie nimmt ihre Medikamente und verkriecht sich auch nicht dauernd im Bett. Trotzdem.» Mit dem letzten Wort war alles gesagt. Margaret Barringtons Zustand war nicht stabil, und der kleinste Anlass konnte sie wieder hinfällig machen.
«Ist sie noch auf?»
«Ja, sie ist oben in ihrem Zimmer», entgegnete Estelle.
Adriannas Magen zog sich zusammen.
«Möchtest du etwas essen? Soll ich dir ein Sandwich machen?»
«Nein, danke.»
«Vielleicht eine Scheibe Bananenbrot. Habe ich heute frisch gebacken.»
«Ich bin nicht hungrig.»
«Dann ein paar Plätzchen. Iss wenigstens ein Plätzchen.» Adrianna musste lachen. «Estelle, ich bin satt.»
Estelle zog einen Flunsch. «Du bist zu dünn.»
Adrianna gab ihr einen Kuss. «Das sagst du schon, solang ich denken kann. Glaub mir, ich esse. Zurzeit schon aus lauter Stress.»
«Und warum nimmst du dann nicht zu?» Estelle musterte Adrianna von oben bis unten. «Das ist nicht fair. Aber vielleicht hast du das von deinen anderen Eltern geerbt.»
Über diese «anderen» Eltern sprach Adrianna nur selten. Im Gegensatz zu Kendall, die jedes kleine Detail ausgraben und beleuchten wollte. Adrianna hatte daran kein Interesse. Ihre Lebensgeschichte war mit den Barringtons verknüpft, im Guten wie im Schlechten. Mit dem Paar, das sie ins Leben gesetzt hatte, verband sie nichts.
Schweren Herzens stieg sie die Treppe hoch. Wie jeden Tag zu dieser Zeit würde ihre Mutter im Fernsehen «Glücksrad» sehen. Adrianna klopfte an die Tür.
Ihre Mutter saß in einer Sitznische auf dem Sofa. Das bläuliche Licht des Fernsehers ließ sie
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