Am Ende bist du mein
von einem Stapel Krankenakten auf und fragte: «Sind Sie Detective Hudson?»
«Ja, bin ich.» Gage zeigte seine Dienstmarke vor. «Aber zuerst einmal vielen Dank, dass ich so spät überhaupt noch vorbeikommen konnte.»
«Kein Problem.» Dr. Gregory schob den Stapel zur Seite. «Setzen Sie sich. Und dann erklären Sie mir doch nochmal, worum es eigentlich geht.»
Gage nahm auf einem der beiden Polstersessel vor dem Schreibtisch Platz und ließ seinen Blick über die gerahmten Diplome und Auszeichnungen an der Wand gegenüber schweifen. Auf einer Anrichte zu seiner Linken standen mehrere silbergerahmte Familienfotos. «Wie ich am Telefon schon sagte, geht es um Craig Thornton, der hier –»
«Das war ein tragischer Fall», unterbrach ihn Dr. Gregory. «Wie immer, wenn jemand schon in jungen Jahren dahingerafft wird.»
«Könnten Sie mir ein wenig mehr über seinen Fall berichten?»
Dr. Gregory lehnte sich zurück und faltete seine Hände im Schoß. «Es war ein irreversibler Hirnschaden. Craig Thornton wäre nie mehr wieder aufgewacht.»
«Doch wie ich erfahren habe, hätte er noch jahrelang leben können.»
«So war jedenfalls unsere Einschätzung.»
«Heißt das, sein Tod hat Sie überrascht?»
«Überrascht? Nein, das wäre zu viel gesagt. Der menschliche Körper ist nicht dazu gemacht, im Koma zu liegen. Nach einer langen inaktiven Phase beginnen die einzelnen Körperfunktionen zusammenzubrechen. Mr. Thornton hatte zwar eine starke Konstitution, aber mit seinem Tod war immer zu rechnen.»
«Waren Sie da, als er gestorben ist?»
«Ich erinnere mich noch gut an den Tag», sagte Dr. Gregory bedächtig. «Am Abend hatte ich ihn noch untersucht. Sein Herzschlag war kräftig und sein Blutdruck völlig normal. Und er hatte auch keine Infektionen. Gegen zehn Uhr rief mich die Stationsschwester an und sagte, es habe einen Herzstillstand gegeben. In seiner Akte war der Vermerk, dass er nicht wiederbelebt werden wollte – also haben wir es nicht versucht.»
«Und was war die eigentliche Todesursache?»
Dr. Gregory nahm seine Brille ab und rieb sich die Lider. «Ich würde sagen, sein Herz hat einfach aufgegeben.»
«Haben Sie ihn nicht obduziert?»
«Nein. Anfangs hat seine Frau es zwar gewünscht, doch ich habe ihr davon abgeraten.» Als hätte er die Situationwieder deutlich vor Augen, stieß er einen schweren Seufzer aus. «Ich dachte, für sie wäre es besser, sich abzufinden und loszulassen.»
Gage dachte an die Worte von Janet Guthrie, nach denen Adrianna ihren Mann jeden Tag hier besucht hatte, und fragte sich, ob er an ihrer Stelle dieselbe Kraft aufgebracht hätte. «Hatte Mr. Thornton an diesem letzten Tag Besucher?»
«Dachte ich mir doch, dass Sie danach fragen würden», sagte Dr. Gregory triumphierend, wandte sich dem Stapel zu und zog eine Krankenakte hervor. «Die habe ich extra heraussuchen lassen. Mitsamt der Liste der Besucher. Warten Sie –» Dr. Gregory zupfte einen Beleg heraus, steckte ihn zurück und kramte weiter. «Hier – der ist es. Der zweite Dezember. Das war der Todestag.»
«Und? Hatte er da Besucher?», fragte Gage und hielt den Atem an.
«Drei sogar. Fred Minor, Janet Guthrie und Margaret Barrington.»
Gage atmete hörbar aus und spürte, dass ihm eine Last von der Seele wich. Demnach war Adrianna an Craigs Todestag tatsächlich nicht im Pflegeheim gewesen. «Können Sie mir auch sagen, wie lange diese Besucher jeweils hier waren?»
«Ist alles genau verzeichnet. Mr. Minor kam mittags um zwölf und ist zwanzig Minuten später gegangen.»
«Ist er öfter hier gewesen?»
«Regelmäßig, das weiß ich sogar aus dem Kopf. Er war ja auch ein Freund der Familie, und wir haben mehrfach über Craig Thorntons Zustand gesprochen.»
Gage versuchte, diese Information zu verdauen, aber Dr. Gregory sprach bereits weiter.
«Ms. Guthrie kam gegen vier und blieb nur zehn Minuten. Aber sie ist ohnehin nur selten erschienen. Na ja, das gehtwohl vielen so. Niemand wird gern mit seiner Sterblichkeit konfrontiert, und bei uns befinden sich nun mal Patienten, die irgendwann genauso kerngesund wie alle anderen waren. Ms. Guthrie fand es hier unheimlich, das war ihr deutlich anzumerken.»
Das konnte Gage Janet nicht einmal verübeln. Hier lagen Menschen, die auf den Tod warteten, und das war sicherlich das Letzte, was man sich wünschte. Auch er würde einen raschen Tod bevorzugen und nicht, lebendig begraben zu sein. «Was war mit Margaret
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