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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Organismus gierte nach
mehr Koffein.
    Ein hochgewachsener Mann mit dunklem
Haar und Metallrandbrille lächelte uns über den Tresen an. »Für eine Spende von
zehn Cent gibt’s einen. Bedienen Sie sich, wenn Sie möchten.«
    Hy lehnte dankend ab, aber ich nahm mir
Kaffee, gab noch Zucker als Energiespender hinein und warf ein Zehn-Cent-Stück
in den angeschlagenen Becher neben der Maschine.
    »Sind Sie mit dem Twin-Cities-Flug
gekommen?«
    »Ja«, sagte ich und ging im Geist rasch
noch einmal das Szenario durch, das ich entworfen hatte. Während der langen
Nacht hatte ich mühsam der Versuchung widerstehen müssen, es bis ins
Possenhafte auszuschmücken — etwas, wovor ich Rae oft gewarnt hatte. Ohne
großen Erfolg; barockes Fabulieren war für sie so natürlich wie Atmen, und
irgendwann wird sie vielleicht ihren Traum von der Schriftstellerkarriere
realisieren und die Arbeit bei mir aufgeben — mein Pech.
    Ich sagte zu dem Mann hinterm Tresen:
»Wir hoffen, daß Sie uns helfen können. Ein Freund von uns, John Seabrook,
sollte uns gestern in Minneapolis treffen, in Flying Cloud. Er plante einen
Sichtflug und wollte nicht extra einen Flugplan aufgeben, aber er ist nicht
gekommen. Vorher wollte er hierher, um« — Ich entdeckte ein Plakat an der Wand
und improvisierte — »die Hockey Hall of Fame zu besichtigen. Dann hatte er vor,
hier eine Maschine zu mieten und ein bißchen herumzufliegen, um Freunde zu
besuchen. Er müßte das Flugzeug so um den vierzehnten November gemietet haben.«
    »Seabrook... ja, an den erinnere ich
mich.« Er nahm sein Eintragungsbuch und blätterte darin. »Das war am
fünfzehnten. Die blaurote Super Cub. Sechs-acht-drei-sieben-Lima. Er hat ein
paar Tage vorher angerufen. Wollte sie für einen Monat mieten. Wir haben eine
hohe Barkaution genommen und sicherheitshalber seine Visa-Card überprüft. Wieso
haben Sie nicht den Such- und Rettungsdienst alarmiert, als er nicht
aufgetaucht ist?«
    »Tja, na ja... wissen Sie, John ist
ziemlich impulsiv und... den Damen nicht gerade abgeneigt. Stimmt’s nicht,
Schatz?«
    Hy starrte mich an, als hätte ich den
Verstand verloren. Noch nie hatte ich ihn so angeredet. Nach einem kurzen
Moment der Verblüffung sagte er: »Stimmt — Häschen.«
    Ich unterdrückte ein Grinsen. »Wollte
unser Freund die Maschine genau einen Monat behalten?«
    »Er wußte es nicht genau, hat gesagt,
er gibt uns Bescheid.«
    »Haben Sie ihn gefragt, wo er hin
wollte?«
    »Natürlich. International Falls, Fargo,
Pierre, Sioux City, Twin Cities — ganz schöne Tour.«
    Hy sagte zu mir: »Weißt du was? Ich
wette, er ist bei Judy.« Jetzt war ich es, die ihn anstarrte.
    »Du weißt doch — die Frau aus North
Dakota, die er letztes Jahr auf Jamaica kennengelernt hat.«
    »Ach, ja.«
    Zu dem Mann sagte Hy: »Jetzt mache ich
mir keine Sorgen mehr, und Sie brauchen auch nicht um Ihre Super Cub zu
fürchten. Die kommt bestimmt in gutem Zustand zurück — wenn auch leider mit
wenig Nutzungszeit auf dem Buckel.« Und zu mir gewandt, setzte er hinzu: »Weißt
du, ich finde, wir sollten einen Wagen mieten und ihre traute Zweisamkeit
stören, als Rache, weil John uns versetzt hat. Was sagst du?«
    »Klar, warum nicht?«
    Hy dankte dem Mann, nahm meine Hand und
zog mich nach draußen, ohne mir die Zeit zu lassen, meinen leeren Plastikbecher
in den Mülleimer zu werfen.
    »Was jetzt?« fragte ich.
    »Tja, hier können wir keine Maschine
mieten. Ich müßte mich ausweisen und mein Flugbuch vorlegen. Ihm eine
Kreditkarte geben. Ich will nicht, daß der Typ irgend jemandem erzählen kann,
daß ich nach John Seabrook gefragt habe. Wir wissen ja nicht, was passiert ist,
als er Duncan Stirling gefunden hat.«
    Und was passieren würde, falls wir ihn
fänden.
    »Das ist ein Argument«, sagte ich. »Wir
mieten hier wohl besser auch keinen Wagen. Ich habe gesehen, daß die Hockey
Hall of Farne hier in der Nähe ist, in einem Ort namens Eveleth, das heißt,
dort gibt es sicher Motels. Warum schnappen wir uns nicht ein Taxi, suchen uns
ein Quartier und telefonieren erst mal?«
     
    Ich sah von der Karte auf, die ich auf
dem Tisch unseres Holiday-Inn-Zimmers am Ortsrand von Eveleth ausgebreitet
hatte. »Er kann sowohl die Green-Bay- als auch die Twin-Cities-Karte benutzt
haben, wenn er nach Nordosten geflogen ist. Für beide Richtungen kommt dagegen
nur die Twin-Cities-Karte in Frage.«
    Hy hörte auf, das Zimmer zu inspizieren
— eine alte Gewohnheit, aus vielen Jahren ständiger Gefahr

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